Leid, Sterben und Trauer sindIrmtraud Heinzle oft begegnet. Von der Kraft Gottes und der Hoffnung auf neues Leben berichtet sie.
Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester in Innsbruck wurde ich zum ersten Mal mit Leid konfrontiert. Diese damals für mich vollkommen neue Situation werde ich nie vergessen. Die zentralen Fragen für mich und viele meiner Ausbildungskolleginnen waren: „Wo ist Gott? Gibt es ihn wirklich? Warum lässt er soviel Leid zu? Aus welchem Grund erkrankt der 18-Jährige an Hodenkrebs? Warum stirbt eine junge Mutter?“ Ich muss gestehen, auch heute noch stelle ich mir solche Fragen, wenn mich Hilflosigkeit und Ohnmacht einholen.Mittlerweile bin ich zwanzig Jahre älter und reifer geworden. Die Sinnhaftigkeit (oder Sinnlosigkeit) im Leiden eines Menschen wird auf dieser Welt mit letzter Sicherheit wohl nie festgestellt werden können. Auch wenn die Fragen danach immer wieder aufbrechen: am besten wir quälen uns damit nicht ab. Mich beeindrucken Menschen, die sich dem „Schicksal“ stellen, die sich ganz und gar hingeben können, Gottvertrauen haben und überzeugt sind: So wie es kommt, so ist es richtig für mich.
Eine große Kraft
Mein besonderes Vertrauen in Gott beweist sich dann, wenn ich sehe, wie verzweifelt doch jene Menschen sind, die jemanden verlieren, der ihnen nahe steht. Wenn ein Vater von drei kleinen Kindern von einer Sekunde auf die andere diese Welt und somit seine Familie verlässt, würde man glauben, das Leben der Zurückgebliebenen gehe nicht mehr weiter. Für die Angehörigen bleibt alles stehen – und doch, das Leben geht auch für die Betroffenen weiter. Ich habe erfahren, dass gerade diese Menschen so viel Kraft und Mut bekommen, dass sie oft selber nicht sagen können, woher sie diese Energie nehmen. In solchen Fällen spüre ich besonders stark, dass es einen Gott gibt. Das enthebt uns jedoch nicht der Aufgabe, Leidende zu begleiten. Denn gerade in dem – oft schwierigen – Bemühen, Trost zu geben und Schmerz zu lindern, leuchtet ein Funken Gottes in unserer Welt auf. Besonders in der Begleitung von Menschen im Sterben ist darauf zu achten, wer mehr leidet. Sind es die Angehörigen oder das Pflegepersonal, die das Leiden der Betroffenen nicht mehr aushalten, oder ist es der/die Betroffene selber. Es ist wichtig, uns vor Augen zu halten, um wen es geht – um den Patienten! Beim Stand der heutigen Medizin sollte kein Patient mehr unter ständig starken Schmerzen stehen müssen. Und – auch wenn die Ärzte nichts mehr machen können, können Angehörige und Helfer für Betroffene noch sehr viel tun.
Geburt in eine neue Welt
Den Tod selbst kann ich eigentlich bis heute doch oft als Erlösung wahrnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns um die Verstorbenen keine Sorgen machen müssen. Sie sind aufgehoben in einer anderen Welt, wohl behütet und umgeben von „Altbekannten“. Für mich bedeutet Sterben den Übergang in eine andere Welt. Wie wir hier auf Erden die Geburt eines Kindes erwarten, so warten auf der anderen Seite genauso viele „Seelen“ auf die Geburt in jene Welt, die Gott uns bereitet hat.
Abschied nehmen
Wenn wir um unsere Verstorbenen trauern, so geht es weniger um sie als um uns selber. Gerne hätten wir sie noch um uns, oft auch nur, um noch einige Dinge zu sagen oder zu klären, um Versäumtes nachzuholen! Deshalb ist es sehr wichtig, dass Angehörige Zeit haben, um von dem/der Verstorbenen Abschied zu nehmen. Auch in dieser Situation, wenn der Tod schon eingetreten ist, soll alles ausgesprochen werden, was noch zu sagen ist. Hat man die Möglichkeit einen Verstorbenen länger bei sich zu haben, wird man die Erfahrung machen, dass fast alle nach einigen Stunden einen wunderbaren, gelösten und meist auch lächelnden Ausdruck im Gesicht haben. Die Verstorbenen so in Erinnerung behalten zu können und sie in diesem Zustand dem Schöpfer übergeben zu dürfen, sind eine sehr schöne und beruhigende Erfahrung. Die Gewissheit, dass es ihnen gut gehen wird, dass sie aufgehoben, eingebettet, glückselig sein werden und dass ich sie irgendwann wieder einmal treffen werde, das ist für mich ein Teil der Auferstehung.
Irmtraud Heinzle
BedenkText
Kreise um Gott
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm; und ich kreise jahr- tausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.
Rainer M. Rilke
ZEUGNISSE
Zwischen Karfreitag und Ostern
Wir baten Menschen, die in ihrem privaten und/oder beruflichen Leben auch die „dunklen“ Seiten des Daseins erfahren haben, uns zu schreiben, wie sie Leid, Tod und Auferstehung sehen und mit Blick auf Jesus deuten.
Irmtraud Heinzle aus Altach arbeitet als Krankenschwester und ist seit drei Jahren ehrenamtlich als Hospiz-Begleiterin tätig.