Gott hält nicht den fertigen Bauplan meines Lebens in seiner Hand, den ich nur erkennen müsste. Berufung ist ein Weg des Dialogs und des Vorangehens von einem Wegweiser zum nächsten.
„Ich würde es sofort tun! Wenn Gott es mir nur irgendwie sagen, erkennen lassen möchte, was er für richtig hält“, klagt da ein junger Theologiestudent und wagt seit Jahren keinen Schritt. Manche meinen, Gott habe das Buch des Lebens in seiner Hand, in dem schon geschrieben steht, was er/sie nach seinem Willen werden und tun soll. Man müsste Gott nur in die Karten schauen können, und alles wäre viel einfacher!
Gott lässt die Wahl
Gott als Lenker der Welt, der einen klaren Plan mit jedem Menschen hat? Das Problem wäre dann nur: dass einerseits die Menschen diesen Willen Gottes nicht erkennen oder sich nicht danach richten. So ist Gott sicher nicht, jedenfalls nicht der Gott Jesu Christi! Er mag für eine bestimmte Aufgabe, Haltung oder Lebensform werben. Gleichzeitig lässt er den Menschen frei, lässt ihn wählen. Gott übergeht die Fragen und die Sehnsucht, die Talente und natürlichen Grenzen des Einzelnen nicht. Er steht an seiner Seite, spricht mit ihm und hört, was sein Geschöpf ihm sagen will. Er lässt sich von der Antwort des Menschen bewegen. Er geht mit, auch auf Umwegen, hat Geduld, gibt den Menschen nie auf. Berufung ist somit nicht etwas Festgeschriebenes, sondern ein dialogisches Geschehen, ein Weg, der erst langsam im Gespräch zwischen Gott und Mensch entsteht. Wie heißt es doch in einem wunderbaren Spruch aus Spanien: „Mehr als eine Kenntnis der Zukunft ist sie (die Berufung) ein liebendes Zusammenwirken. Sie ist eine Freundschaft.“
Zeichen am Weg
Die Berufung auf den noch nicht klar erkannten „Willen Gottes“ klingt fromm. Sie kann auch ein Abschieben einer Entscheidung aus Angst vor dem Gewicht der Freiheit und Selbstverantwortung sein. Ich habe auf Gott zu hören, das ist selbstverständlich. Aber dann habe ich auch Schritte zu setzen, aufzubrechen, etwas zu wagen. Wer zu lange nicht wählt, wird um das volle Leben betrogen. Es ist die schlechteste Wahl. Wer bei einer Bergtour nur dann den Einstieg wagt, wenn er schon im Tal den ganzen Weg zum Gipfel einsehen kann, der wird nie mit dem Aufstieg beginnen. Ist es nicht ausreichend, den nächsten Wegweiser zu sehen und seiner Richtung zu folgen? So ist auch die Berufung „wie ein Pfad mit Wegweisern. Jedes Zeichen führt zum nächsten Zeichen, ohne das endgültige Ziel zu kennen“, sagt es jener Spruch aus Spanien. Vieles kann da für uns Wegweiser sein: eine Erzählung aus der Hl. Schrift wie der „reiche Jüngling“ für Franziskus, ein Mensch, ein Ereignis, innere Freude und Trost, alles, worin wir einen Hinweis für uns erkennen, der uns den Weg zum Leben zeigt. Sicher gibt es auch Warnschilder auf dem Weg, die ich zu beachten habe, damit ich nicht abstürze.
Die Entscheidung
Auf meinem Pilgerweg durchs Leben werde ich viel loslassen, zurücklassen müssen. Das tut weh! Vielleicht kennen Sie die Geschichte vom Wunderknaben. Als er noch in seinem Haus sitzen blieb, da konnte er vollmundig über die Welt erzählen. Als er sich auf den Weg machte und zur ersten Kreuzung kam, da musste er schon die ersten Möglichkeiten zurücklassen. Denn selbst ein Wunderknabe kann nicht gleichzeitig zwei Wege gehen. Und immer mehr Wege musste er links und rechts liegen lassen. Seine Worte wurden bescheidener und weniger. So stieg er hinauf. Als er oben angekommen war, erkannte er, dass die verpassten Täler und Wege nun wie in Terrassen unter ihm lagen. Im Loslassen und Kleinerwerden war er ein Leben lang aufwärts gegangen. Die Entscheidungssituationen sind die kritischen Momente: „Beständiges, wiederkehrendes Ringen um die ehrliche, richtige Entscheidung“, betont Margot Bickel. In diesen Abschnitten von Wegweiser zu Wegweiser, im Abwägen von Möglichkeiten an Kreuzungen meines Lebens, wird sichtbar, worauf ich höre: auf den Mut zum Aufbruch oder die Angst vor dem Neuen, auf das Werben Gottes in mir oder auf die vielen Stimmen unserer konsumistischen und kurzlebigen Gesellschaft. „Werde ich mir treu bleiben, oder wähle ich den einfacheren Weg?“
P. Josef Maureder SJ
Lexikon
Berufung
- Geistliche Berufung: hat jeder aufgrund von Taufe und Firmung.
- Geistliche Berufe im weiteren Sinn: alle, die intensive Nachfolge Jesu leben im Dienst an den Menschen (im Gebet, im Tun …).
- Kirchliche Berufe: alle, die sich innerhalb eines konkreten kirchlichen Dienstes engagieren.- „Geistliche Berufe“ im engeren Sinn: aufgrund von Profess und Weihe.
BedenkText
Die Berufung ist ein Pfad mit Wegweisern.
Jedes Zeichen führt zum nächsten Zeichen, ohne das endgültige Ziel zu kennen.
Mehr als eine Kenntnis der Zukunft ist sie ein liebendes „Zusammenwirken“.