V. li.: Elisabeth Maier (Wiener Katholische Akademie), Kardinal Christoph Sch?nborn, Giuseppe Ghiberti; hinten: Grabtuch-Faksimilie. Kongress z. Thema "Das Turiner Grabtuch".
Wien, 29.5.2002
? Franz Josef Rupprecht; A-7123 M?nchhof; Bank: Raiffeisenb
Reliquien: der Versuch, sich dem Unfassbaren tastend zu nähern
Ausgabe: 2002/23, Schönborn, Turin, Grabtuch, Reliquien, Reliquie, Maier, Ghiberti, Rom
05.06.2002 - Josef Wallner
Eine Reliqiue, die für Schlagzeilen sorgt: das Grabtuch von Turin. Bei einem internationalen Grabtuch-Kongress in Wien war eine originalgetreue Nachbildung des Grabtuches ausgestellt. Dr. Elisabeth Maier (von links) von der Wiener Katholischen Akademie organisierte den Kongress, Kardinal Dr. Christoph Schönborn holte die Wissenschafter nach Wien, unter ihnen Dr. Guiseppe Ghiberti, Professor für Neues Testament und Mitglied der päpstlichen Bibelkommssion.
Foto: Rupprecht
Unabhängig von der „Echtheit“ des Turiner Grabtuchs stellt sich die Frage nach der Bedeutung von Reliquien: Über den Sinn und die Grenzen der Reliquienverehrung.
„Wenn man einen Menschen gern hat, möchte man auch nach seinem Tod ein Andenken von ihm haben“, meint Prof. Hans Hollerweger. Der Liturgiewissenschafter hält es am Sinnvollsten beim Thema Reliquien bei der menschlichen Erfahrung anzusetzen. „Vielleicht wurde der Glaube zu sehr spiritualisiert und nun sehnen sich Menschen wieder nach Zeichen des Glaubens“, so Hollerweger. Es gilt aber, darauf zu achten, dass man das Zentrum des Glaubens nicht aus den Augen verliert: „Wenn die Reliquien nicht Wegweiser zum Eigentlichen – zu Christus – werden, dann ist deren Verehrung fragwürdig“. Die Reliquienverehrung gehört für die Kirche – so der Weltkatechismus – in den Bereich der Volksfrömmigkeit. Man kann mit und ohne dieser Form der Volksfömmigkeit ein „guter katholischer Christ“ sein. Die Verehrung von Reliquien gehört nicht zum Glaubensgut der Kirche, sehr wohl aber zu einem breiten Strom der Tradition. Als Polycarp von Smyrna gemartert wurde, tränkten Christen Tücher in seinem Blut. Das ist das erste Zeugnis einer Märtyrerverehrung. Bald wurde an Gräbern der Märtyrer an deren Todestag Eucharistie gefeiert. Über den Gräbern enstanden Kirchen. Damit war die Tradition begründet, dass in jedem Altar eine Reliquie enthalten sein muss. Heute ist dies nicht mehr zwingend vorgeschrieben.
„Lebendige Reliquie“
Für die Stadt Rom hatten die Gräber der Märtyer eine besondere Bedeutung. Die Monumente auf den Friedhöfen am Stadtrand wurden als Schutzburgen der Stadt bezeichnet. Im Hochmittelalter trieb die Reliquienvereherung seltsame Blüten. Franziskus von Assisi machte auf seiner letzten Reise von Siena nach Assisi einen weiten Bogen um Perugia, weil er fürchtete, ein Reliquienobjekt zu werden. Schon zu Lebzeiten galt er als Heiliger. Um ein Andenken an ihn „riss“ man sich im wahrsten Sinne des Wortes.
In Tuchfühlung
Nicht um Aberglauben, nicht um Verdinglichung des Heils oder um einen „religiösen Kick“, geht es bei der Reliquienvereherung. Der Aachener Bischof Klaus Hemmerle nannte die Reliquien eine „Hilfe mit Gott in Tuchfühlung zu bleiben“. Vor allem die „Textilien Jesu“ zeigen, dass Jesus nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich einwickeln lassen musste in Windeln und Leichentuch.Die„heiligen Textilien Jesu“ – wie zum Beispiel der Leibrock – sind nicht nur aus Leinen, sondern auch aus Legenden gewoben. Die Echtheitsfrage ist zweitrangig. „Die Reliquie soll den Glauben echt machen“, formulierte Bischof Hermann Josef Spital von Trier im Rahmen einer „Heilig Rock“-Wallfahrt.