Das Übermaß an Konsum und Betriebsamkeit findet seinen Kontrast in der Einfachheit und Reduziertheit der neuen kirchlichen Architektur.
Die Diskussion der Einführung der Krankenkassenchipcard in Österreich löste viele Fragestellungen aus. Nachdem die genetische Entschlüsselung der Menschen eingesetzt hat, soll nicht auch noch sein Privatleben ein Glashaus werden. Die nachstehend angeführten Punkte zum zeitgenössischen Kirchenbau sind in ihrer Allgemeinheit ein Herantasten an das Thema, da heutige Kirchen keinen allgemeinen Gestaltungskriterien folgen, sondern oft sehr individuelle Lösungen darstellen.
Das Neue fordert heraus
Neue Fragestellungen fordern heraus, sei es in der Gesellschaft das Beispiel der Chipkarte. Sie fordern heraus in der Kunst, wenn man meint, minimale Konzepte, die sich in wenigen Strichen oder Farbklecksen erfüllen, nicht nachvollziehen zu können. Auch in der Kirche fordern neue Fragestellungen heraus, wo das Zweite Vatikanische Konzil mit der Einführung der Landessprache in der Liturgie und dem Volksaltar u. a. neue Akzente setzte. Die Antwort auf dieses Neue blieb auch im Kirchenbau nicht aus. Die längsgerichteten Wegkirchen wurden abgelöst durch Bauten in Form von Kreis oder Ellipse oder Achteck, wo jeweils der Volksaltar eine Mittelposition erhalten kann.
Geborgenheit
Sich um eine Mitte im Kreis zu versammeln, erzeugt Gemeinschaft, Eingebundensein und Geborgenheit. Und in der Mitte findet die lebendige Feier der Gegenwart Christi am Volksaltar statt. Der Akzent verschob sich vom Tabernakel als Aufbewahrungsort zur Feiermitte des Altars. Diese Verschiebung drückte und drückt sich natürlich auch im Kirchenbau aus und ist immer wieder Thema bei Umgestaltungen von Kirchen. Die sich versammelnde Gemeinde als Bild für die Gegenwart Gottes kommt zum Bild der Gegenwart Gottes im Tabernakel hinzu.
Das Licht spricht von Gott
Nachdem im zeitgenössischen Kirchenbau und -umbau auf reichen Schmuck und Ausgestaltung oft verzichtet wird, kommt dem Licht und der Lichtführung große Bedeutung zu. In neuen Kirchen wird meist in der Mitte eine Tageslichtquelle auf den Altar hin installiert. Das Material Glas in seiner Klarheit ist neben Stahl und Beton häufig verwendet und treffen wir bei vielen großen Neubauten an. Das Licht in seiner Klarheit spricht von Gott. Das war in der Gotik so und ist heute noch aktuell. Licht bringt auch die anderen Materialien wie Stahl, Beton oder Holz in ihrer ureigensten Substanz, ihrem Wesentlichen zur Geltung. Die Echtheit des Materials steht einer Echtheit der Erfahrung im (Kirchen-)Raum gegenüber, fernab von Gipskarton und Holzimitat. Die Feier lebt von der Echtheit, vom authentischen Mittun und vom echten Raum.
Kontrast zur Welt
Die Einfachheit gegenwärtig gestalteter Kirchen in der Architektur und ihrer Ausstattung erzeugt einen Kontrast zum täglichen Leben. Einen Kontrast zur Überfülle der Bilder im Fernsehen und auf der Straße. Zum Lärm des Verkehrs. Zum vereinzelten Dahinleben, selbst in Familien, und dem Verlust einer gemeinsamen Sprache. Die Kirche setzt einen Feierraum dagegen, der eine Mitte hat, in seiner Einfachheit Stille und wenig Ablenkung bietet. Die meist (runde) Sitzordnung erzeugt eine Gemeinschaft, die meine Teilnahme fordert. Gott wird sichtbar im Zeichen einer Gemeinde, die um die Mitte versammelt ist. Und der Einzelne?Gottes Gegenwart erinnernAbseits des Feierraumes gibt es je nach Möglichkeit den (privaten) Andachtsraum, der auch als Wochentagskapelle verwendet wird, mit dem gesondert aufgestellten Tabernakel. Die Gegenwart Gottes außerhalb der Feier drückt sich im Tabernakel aus. Durch die gesonderte Positionierung bekommt er ein eigenständiges Gewicht. Das sich Besinnen und Erinnern des/der Einzelnen in Gegenwart Gottes ist wertvolles, eigenständiges Gut, und das will auch in einer eigenständigen Form ausgedrückt sein.
Das Einfache aushalten
Das Einfache und Klare bietet einen Zugang zum Wesentlichen, noch dazu, wenn es schön ist. Unsere Zeit in ihrer Vielschichtigkeit und ihrer Vielgestaltetheit, mit ihrem Überangebot an Information und Konsum, verlangt einen Kontrast in der Religion und eine Alternative zur Betriebsamkeit in den neuen Räumen der Kirche. Das gewährleistet die neue Architektur und Kunst. Gleichzeitig fordert sie uns auch heraus, diese Einfachheit auszuhalten und sie als Weg zu begreifen. Als Weg der direkten und echten Erfahrung Gottes in uns. Als Weg des Kraft- und Atemholens, um die Spuren Gottes in unserer Welt erkennen und benennen zu können.
Baustile
Wenn Steine den Glauben verkünden – Eine Kirche ist nicht nur das Gebäude, sie erzählt auch von Glaube und Hoffnung der Menschen der damaligen Zeit.Hubert Nitsch, Kunstreferent der Diözese Linz, wird in dieser fünfteiligen Serie die „Sprache der Steine“ für uns heute verständlich machen.