Vor 40 Jahren, am 11. Oktober 1962, begann das II. Vatikanische Konzil. Weihbischof Helmut Krätzl nahm als Konzilsstenograph hautnah am Geschehen teil. Über die Reformen des Konzils schreibt er.
Der „springene Punkt“ des Konzils, so sagte Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache, sei nicht, „den kostbaren Schatz zu bewahren“, sondern „einen Sprung nach vorwärts“ zu tun. Inhaltlich kann man die 16 mit großer Mehrheit beschlossenen Konzilsdokumente unter drei Gesichtspunkten zusammenfassen: 1. eine neue Sicht der Kirche; 2. eine neue Sicht des Menschen; 3. eine neue Stellung der katholischen Kirche zu anderen Kirchen, Religionen und zur Welt.
Neue Sicht der Kirche
Der prägende Leitgedanke ist die Sicht der Kirche als Gemeinschaft (Communio-Ekklesiologie). Damit wird eine seit dem Mittelalter einseitig christologische Begründung (mit ihrem autoritär-hierarchischen Strukturverständnis) durch eine trinitarische abgelöst. „Kirche ist Gemeinschaft“, das darf also nicht vornehmlich soziologisch verstanden werden, sondern theologisch. Kirche lebt in und von der Trinität (Dreifaltigkeit), sie soll auch ihr „tätiger Ausdruck“, ihre Ikone sein. Das bedeutet Einheit in Vielfalt, Zueinander von Charisma und Amt, gegenseitig aufbauende Kommunikation. Das hatte Folgen für das gesamte Gottesvolk: An Stelle einer einseitigen Sicht der Kirche vom Klerus her tritt der übergreifende Begriff „Volk Gottes“, der Hierarchie und Laien umfasst.. „Gemeinsames Priestertum“ und „Weihepriestertum“ sind einander zugeordent. Laien sind nicht mehr Objekte kirchlicher Betreuung, sondern mitverantwortliche Subjekte. Dies wird verwirklicht in eigenverantwortlichen Diensten der Laien (Religionslehrer, Pastoralassistenten usw.) und in ihrer Mitwirkung in Gremien. Ihr Glaubenssinn (sensus fidelium) als ein Kriterium bei der Wahrheitsfindung wurde wieder stärker betont. Die trinitarische Sicht der Kirche hat auch Folgen für das Bischofskollegium. Sie unterstreicht die Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst und untereinander. Die Selbständigkeit der Ortskirchen wird betont, „in und aus“ denen die Kirche besteht. Kollegialität soll auch verwirklicht werden in den Bischofskonferenzen und in der neu geschaffenen „römischen Bischofssynode“ sowie in der Internationalisierung der römischen Kurie. Im Verhältnis der Kirche zur Welt sollte nun die gelebte Communio Vorbild für das Zusammenleben der Menschen und Völker sein, ist doch die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“.
Neue Sicht des Menschen
Die Grundidee der Anthropologie (Lehre vom Menschen) des Konzils ist biblisch. Sie geht von der wunderbaren Berufung des Menschen als Ebenbild Gottes aus. Entgegen der früher aus einer negativen Geschichts- und Welterfahrung gedachten Unterscheidung von Natur und Gnade betont das Konzil nun deren Einheit. Übernatürliche Gnade hat so gesehen auch innerweltliche, natürliche Wirkungen. Daraus folgt: „Wer Christus dem wahren Menschen folgt, wird auch selbst mehr Mensch.“ Der Mensch wird nicht wie früher zuerst in seiner erbsündlichen Gefallenheit gesehen, sondern in seiner Würde. Diese zeigt sich in seiner „Vernunft und Weisheit“, in seinem sittlichen Gewissen und in seiner Freiheit. Das spricht dem Menschen eine relative Autonomie (Eigenverantwortlichkeit) zu, die aus der Bezogenheit zu Gott hervorgeht. Deren Bild ist die faszinierende Freiheit Jesu Christi, die aus seiner einmaligen Beziehung zum Vater entspringt. Diese biblisch fundierte Anthropologie schaffte erst Voraussetzungen für andere Konzilsaussagen, z. B. über die Ehe: Sie wird nicht mehr vor allem zum Zwecke der Fortpflanzung gesehen, sondern als „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“. Die besondere Betonung der Würde des Menschen ist auch Grundlage für die Aussagen des Konzils über die Religionsfreiheit: sie hat ihre Wurzel in der dem Menschen zuerkannten (religiösen) Freiheit. Erst aus der neuen Sicht des Irdischen macht die Kirche auch sehr positive Aussagen über die menschliche Gemeinschaft insgesamt, über Arbeit, Kultur, Wirtschaft und Politik.
Schluss des Beitrages von WB Helmut Krätzl in der nächsten Nummer
Zur Person
Vor 25 Jahren, am 30. September 1977, wurde Dr. Helmut Krätzl (71) zum Weihbischof von Wien ernannt. Am 20. November wurde er gemeinsam mit Florian Kuntner von Kardinal Franz König geweiht. Als Zeremoniär, Ordinariatskanzler und Generalvikar arbeitete er viele Jahre eng mit König zusammen, mit dem er auch gemeinsam dessen goldenes und sein silbernes Bischofsjubiläum feierte. Das Denken und Wirken von WB Krätzl war stark vom Konzil geprägt, dessen Anfänge er hautnah als junger Theologe in Rom als Konzilsstenograph miterleben durfte. Als Bischof und Autor tritt Krätzl unermüdlich für die Umsetzung des Konzils ein.