Das Bild des Lichts füllen mit den eigenen Erfahrungen: Was macht mein Leben hell?
Ausgabe: 2003/09
25.02.2003
Versteht man sie von ihrem Anfang her, so ist die primäre Absicht der Bibel, Menschen Mut zu machen.
Es versteht sich von selbst, dass dem Eröffnungstext der gesamten Bibel, der ersten Schöpfungserzählung in Gen 1, 1–2, 4a, eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Es handelt sich um eine Art Zusammenfassung wichtiger Grundgedanken, ja vielleicht das Grundanliegen der Bibel insgesamt. Immer wieder greifen denn auch Texte in anderen Zusammenhängen darauf zurück, vertiefen diese Bilder und Gedanken und deuten sie neu.Herausgegriffen werden soll aus der Fülle dieser Erzählung das Motiv des Lichts.
Gottes allererste Absicht
Das Licht ist das erste Schöpfungswerk Gottes am ersten Tag (V. 3–5). Aufmerksamen Leser/-innen wird es nicht entgehen, dass das Licht am ersten Tag der Schöpfung der Sonne und der anderen Himmelsgestirne nicht bedarf, die doch erst am vierten Schöpfungstag geschaffen werden (vgl. V. 14–19). Es scheint demnach höchst unwahrscheinlich zu sein, dass uns der Text eine genaue Beschreibung der Entstehung des Universums geben möchte, die wir wortwörtlich verstehen sollten, um uns naturwissenschaftliche Forschungen zur Weltentstehung zu ersparen.
Vielmehr greift die Schöpfungserzählung gleich unmittelbar auf die existentielle Ebene des Menschseins zu mit dem Bildpaar Finsternis und Licht. Die Finsternis scheint anfangs die ganze Welt zu beherrschen, die im Chaos der Urflut zu versinken droht (V. 1f.). Doch Gott bringt Licht ins Dunkel! Dies ist sein ursprüngliches Schöpfungswerk, seine allererste Absicht.
Offen bleibt, was man sich unter „Finsternis“ vorzustellen habe. Es kann alles sein, was Menschen bedrängt, gefährdet, ihnen die Lebenskraft raubt, sie ängstigt und bedroht. All die negativen, unheilvollen Erfahrungen des Lebens lassen sich im Bild der Finsternis fassen, die das Ganze des Lebens, die eigene Welt insgesamt verdunkelt. Die Leser/-innen sind gleichsam eingeladen, dieses offene Wort mit ihren eigenen unheilvollen Erfahrungen zu füllen.
Bibel ist realistisch geblieben
Genauso scheint es auch mit dem Bild vom Licht zu sein. Mitten ins Dunkel der Nacht des Lebens hinein schickt Gott das Licht: Es werde Licht!, heißt es lapidar. Und es wurde Licht! Es bleibt nicht beim frommen Wunsch. Gottes Schöpfungswort ist Befehl. Und auf der Stelle wird es Licht. Die Finsternis hat ihre alleinige Herrschaft verloren. Sie ist zurückgedrängt worden, ohne gänzlich aus dem Dasein verbannt worden zu sein.
Die Bibel vertritt keinen naiven Optimismus nach Art irgendwelcher Sekten. Sie bleibt realistisch. Das heißt aber auch, dass sie das Positive wahrnimmt und darauf verweist. Und wieder bleibt es den Leser/-innen überlassen, dieses Bild des Lichts mit eigenen Erfahrungen zu füllen. Was macht mein Leben licht und hell? So gesehen ist es eben nicht die Absicht eines solchen Textes, irgendwelche Informationen zu geben, um Neugier oder Wissbegier mancher Menschen zu befriedigen.
Glaubenszeugnis Bibel
Man wird einem solchen Text also nicht gerecht, wenn man ihn in dieser Weise missversteht. Denn damit verliert er seine Würde als Glaubenszeugnis, das seinerseits wiederum zum Glauben einladen und aufrufen möchte, das Hoffnung inmitten der Verzweiflung, angesichts von Leid und Tod stiften möchte.
Dieser und ähnliche Texte wollen vielmehr den Menschen Mut machen, mitten in der Finsternis ihres Lebens nicht zu verzweifeln. Sie sind verstehbar als Mutmachgeschichten, die Menschen in innerer oder äußerer Not stärken möchten, damit die Angst der Finsternis sie nicht erwürgt. Das scheint also die primäre Absicht der Bibel insgesamt zu sein, versteht man sie von ihrem Anfang her.
Altes Testament
„Es bleibt nicht beim frommen Wunsch. Es wird Licht, auf der Stelle. Die Finsternis verliert ihre alleinige Herrschaft; sie ist zurückgedrängt, aber nicht gänzlich verbannt. Die Bibel vertritt keinen naiven Optimismus: sie bleibt realistisch.“Oskar Dangl, Theologe und Pädagoge, ist Lehrer am Studienzentrum Strebersdorf der Erzdiözese Wien.