Briefe einwerfen im Postkasten? – Keine Chance! Auch die Tastatur am Bankomat oder beim Parkscheinautomaten ist unerreichbar und der Lichtschranken bei automatischen Türen zu weit oben angebracht. Die Tür bleibt verschlossen. – Marlene Messerle ist einen Meter und fünf Zentimeter groß. Sie gehört zu den etwa 10.000 kleinwüchsigen Menschen in Österreich.
Ausgabe: 2016/10, Messerle, kleinwüchsig,
08.03.2016 - Ernst Gansinger
„Wenn ich wo mit dem Auto hinfahre, muss ich immer zuerst überlegen: Wo parke ich, wie kann ich läuten, lässt sich die Tür öffnen oder ist sie zu schwer ... Das raubt Energie. Ich will ja nicht immer mit Begleitperson die Alltagswege erledigen“, sagt Marlene Messerle. Die Welt ist genormt: Küchen, Bäder, Autobusse, Lifte, Türen, Kästen, Automaten – alles nimmt Maß am Durchschnitt. Kleinwüchsige Menschen kommen da vielfach zu kurz.
Erreichbare Kästen
Frau Messerle braucht Treppen, Sockeln und Aufstiegshilfen. Ihre Wohnung ist durchdacht eingerichtet. Seit Hauptschulzeiten hat sie zum Beispiel einen Rollsessel, dessen stabilisierende Verstrebungen das Aufsteigen erleichtern. Vor Herd und Abwasch hat sie ein kleines Podest. Ob sie Wasser braucht oder in Töpfen und Pfannen am Herd umrührt – das Podest erhöht ihre Reichweite. Zudem ist der Sockel der Einbauschränke in der Küche sehr niedrig, die Kästen selber aber sind normalgroß, das ist wichtig für den Stauraum. Alles in Küche und Bad soll auch für normgroße Menschen passen. So ist zum Beispiel gemeinsames Kochen möglich.
Nach der Operation
Die 52-jährige Marlene Messerle musste ihren Beruf Bürokauffrau aufgeben. Bandscheibenvorfälle, deformierte Gelenke, Arthrosen – Folgen der unproportionierten Körpermaße – zwangen sie in die Berufsunfähigkeitspension. Vor drei Jahren hat sie eine neue Hüfte bekommen. Die Operation verlief ganz gut, doch der Heilungsprozess war langwierig und schmerzvoll wie auch so manche Erlebnisse in der Nachbetreuung, die sich oft über den Bedarf eines kleinwüchsigen Menschen hinwegsetzte. So gab es zwar Sesseln auf den Gängen, die sie sich zu den Therapien, auf zwei Krücken gestützt, entlangschleppte, doch sie waren unerreichbar hoch. Das notwendige Rasten war ihr nicht möglich.
Im Alltag ist vieles zu hoch
Geschäfte haben oft automatisch öffnende Türen. Doch die Lichtschranke ist in einer Höhe von 1,20 Metern angebracht. Der Sensor reagiert auf die Größe von Marlene Messerle nicht. In Amtsgebäuden, auch Krankenhäusern, kann sie Feuerschutztüren nicht öffnen. Sie muss warten, bis ihr jemand hilft. Das Gleiche kann ihr bei Portierlogen passieren, die davor ein Abstellbord haben. Ihre Kleinheit führt dazu, dass sie mancher Portier nicht wahrnimmt. Durch die Glasscheibe kann er sie auch nicht hören. Und die Lifte: Was wäre dabei, würden die Lifttasten waagrecht tiefer unten angebracht statt senkrecht? Auf senkrechten Armaturen erreicht sie oft nur den Knopf fürs Erdgeschoss, aber da ist sie ja eingestiegen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt sie nicht. Sie kann ja nicht auf die Sitze hinauf. Der Einstieg bei Niederflurbussen wäre noch möglich, aber dann das Sitzen nicht mehr. Jeder Einkauf im Supermarkt ist ein eigenes Kapitel: Sehr wenige Geschäfte haben kleine Wagerl. In die großen kann sie die Waren nur hineinwerfen, aber dann schon nicht mehr herausheben. Was in oberen Regalen präsentiert wird, ist für sie unerreichbar. Sie hat zwar eine Assistenz, die ihr hilft, vor allem im Haushalt nutzt sie das, manchmal auch außer Haus. Aber wenn sie auf sich allein gestellt etwas unternehmen will, ist vieles nicht möglich. Ein besonderes Problem sind auch die Zählerkästen in den Wohnungen. Sie sind oft in unerreichbaren Höhen angebracht. Fällt dann der Schutzschalter, bleibt es zwangsweise dunkel. In ihrer neuen Wohnung hat Marlene Messerle darauf geachtet, dass es wieder hell werden kann.