08.04.2003 - Angelika Pressler, die Autorin ist Pastoraltheologin, Psychotherapeuti
Mit Hosanna begrüßten sie ihn als erhofften Retter. Doch er machte nicht mit im „Spiel der Mächtigen“ und endete schmählich am Kreuz.
Ich zappe mich durch die Fernsehkanäle, n-tv, CNN, ZDF, ARD, ORF; ein Stoß von Zeitungen um mich, Kommentare, Bilder, Reportagen, sachliche, reißerische, anklagende, analysierende. Alle reden vom Krieg, sprachlos. Die nackte Macht sucht sich nicht einmal mehr ein Feigenblatt, geht nur den banalen Weg, den sie immer wieder geht, den der Gewalt. Kein Kreuzweg, keine Via Dolorosa, kein Weg auf dem Rücken eines Esels. Lediglich einer zurück in den wölfischen Abgrund des Menschen. Und wenn dort dann die Ohnmacht der Opfer regiert, das Rudel wieder erstarkt ist und auf die Jagd geht nach Rache und Vergeltung? Dann grinst der gestürzte Engel und stopft sich die Pfeife. Wortlos.
Nicht begriffen
Doch ein Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Das Wort ist ein Lamm und setzt sich auf einen Esel, die Wölfe brüllen: Hosanna, gesegnet sei er, der da kommt im Namen des Herrn, hipp hipp hurra, alle Macht den Herren! Das Lamm wird zum Löwen und jagt die Börsenhaie und Multis aus dem Haus Gottes. Aber die Seinen haben es nicht begriffen. Weiter dreht sich das Machtkarussell, schneller, immer schneller, ohnmächtig gefangen im Kreislauf. Und je mehr es sich dreht, desto mehr glauben die Menschenfresser daran, welch ein Fortschritt es sei, mit Messer und Gabel zu essen.
Was ist der Mensch?
Ich schrecke auf aus meinen nachtschwarzen Gedanken. Gott, was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst? Ein Häuflein Dreck, eingespannt in zwingend logische Realitäten und Mach(t)barkeiten, gequält von der Ohnmachtserfahrung, sich nicht wehren zu können, unfähig, nach Gottes Willen leben zu können? Hatte der Großinquisitor in Dostojewskis Brüder Karamasow Recht, als er die Tat Jesu korrigieren wollte? „Ich schwöre dir, der Mensch ist schwächer und niedriger, als du von ihm dachtest!“, hält er Jesus vor. Erst wenn man den Menschen von der Freiheit befreie, zwischen Böse und Gut unterscheiden zu können, ihn entlaste von seinem Gewissen, erst dann und nur dann werde er glücklich. Der Großinquisitor zu Jesus: „Hättest du den Menschen weniger geachtet, hättest du auch weniger von ihm verlangt, und das wäre der Liebe näher gewesen, denn er hätte weniger tragen müssen.“ Weil der Mensch dumm, verkommen und machtgierig ist, gehört er zu seinem eigenen Schutz unterworfen. Aus Mitleid handelt der Großinquisitor, edel und gut will er sein, aber handelt er liebevoll?Die nächtliche Begegnung endet rätselhaft. Jesus gibt keine Antwort, er küsst die blutleeren Lippen des 90-jährigen Greises und geht hinaus in die Nacht. Ein Kuss der Ohnmacht? Ein Kuss als Zeichen einer ganz anderen Macht?
Störenfried Jesus
Warum bist du gekommen, uns zu stören? – so hatte der Großinquisitor sein Verhör begonnen. Küssen möcht’ ich ihn für diese Frage. Wie Recht er hat! Jesu Leben, Leiden, Tod, Auferstehung – sie stören wirklich! Eine unglaubliche Störung unserer Vorstellungen von Herrschen und Machtausübung. Jesu Leidensgeschichte ist eine Stören-FriedGeschichte! Sie stört die Zufriedenheit der Satten und Gierigen, sie stört die Logik funktionierender Machtapparate, sie ver-stört den Friedhof der begrabenen Hoffnungen und Träume. Es gibt und gab sie, die Stören-Friede unserer Tage: Menschen wie Martin Luther King oder Bischof Romero, Männer und Frauen in der Friedensbewegung, sie alle – irritierende Störfaktoren für herrschende Machtapparate. Und sie lebten und leben von dem, was bei Paulus so absurd umschrieben wird: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Er rühmt sich seines Elends, denn darin erlebt er die Macht des Auferstandenen; umgeben von Tod und Verderben, erfährt er Leben und Lebendigkeit. „Dynamis“ lautet das griechische Wort für diese göttliche Macht. Mit ihr wandelt sich Ohnmacht in Stärke, in eine alles bewegende, dynamisierende Lebenskraft. Ostern 2003: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Glaube aber nicht, das sei ein Aufruf zu Masochismus und Leidensverliebtheit; hüte dich zu meinen, deine Schwäche sei eine Tugend, sei dazu da, sich anzupassen und zu fügen. Damit hättest du alle Er-Mächtigung zur Einmischung ins Leben verspielt, wärest lediglich ein Glied in jener Kette der Opfer, die zu Tätern werden, die zu Opfern werden …
Die Autorin ist Pastoraltheologin, Psychotherapeutin und Gemeindeberaterin.