Auf der kurzen Strecke vom Taubenmarkt zum Ursulinenhof gehe ich am vierten Bettler vorbei. Er streckt mir bittend eine Schale entgegen. Ich verneine und gleichzeitig ärgere ich mich über mich, dass ich mich bedrängt fühle und dass ich verweigere.
„Die Stadtverwaltung wurde beauftragt, gemeinsam mit der Polizei die inhaltlichen Fragen eines sektoralen Bettelverbots hinsichtlich räumlicher und zeitlicher Aspekte zu klären und eine entsprechende Verordnung auszuarbeiten.“ – So beginnt die Presseaussendung über die Ergebnisse eines „Runden Tisches“ zum von den politisch Verantwortlichen angekündigten „sektoralen Bettelverbot“ in Linz.
Kein Platz für Gebrochene
„Wir grenzen aus, was uns unangenehm ist“, vermutet der Linzer Psychologe Dr. August Thalhamer eine Ursache der Absicht, Bettler aus dem Stadtbild hinaus zu drängen. „Es ist uns unangenehm, an unsere eigene Bedürftigkeit und an die Schattenanteile in uns erinnert zu werden“, setzt Thalhamer fort. Bettler stoßen das Tor zu den Schatten in uns auf. „Ganz extrem“, so Thalhamer, „ist das bei Rechtsparteien. Sie greifen die alte faschistische Ideologie des Herrenmenschen wieder auf.“ Herrenmenschen haben keinen Platz für Gebrochene, Niedergedrückte, Fremde. Das trifft Bettler wie Flüchtlinge, psychisch kranke und auch behinderte Menschen. Bettler sind sichtbar Gebrochene und müssen aus dem Sichtfeld gedrängt werden. Gleiches würde zum Beispiel psychisch Kranken geschehen, würden sie sich auf Stationen in der Fußgängerzone präsentieren.
Die Angst des Bettlers
„Aus den Augen des Bettlers schaut einen die Angst an“, ist die erste Erklärung von Dr. Max Kastenhuber, Psychologe, ebenfalls aus Linz. Die Lebensangst, die uns anblickt, macht uns Angst. Der Bettler ist verängstigt, weil er zuinnerst bedroht ist. „Es gibt sicher auch andere Bettler, aber bei den ‚Getroffenen‘ schaut man in die Augen der Angst.“ Es handle sich vielfach um schwer traumatisierte Menschen. Die weitere Erklärung Kastenhubers deckt sich mit der Aussage Thalhamers: „Im Bettler begegnet einem ein Teil des eigenen Schattens.“ Auch die Soziologie liefert einen ähnlichen Befund. Der Linzer Soziologe Dr. Josef Gunz meint: „Eine mögliche Erklärung für die Ablehnung der Bettelnden bietet die Theorie der ‚kognitiven Dissonanz‘. Sie besagt: Manche Menschen neigen dazu, Unannehmlichkeiten, Dissonanzen, ihres Daseins auszublenden, die ihr Bedürfnis nach Wohlbefinden zu stören vermögen. Allein die Anwesenheit von Bettelnden wird als unangenehm empfunden. Im Gegensatz dazu versuchen Menschen, die zur Humanität neigen, den Bettelnden zu helfen.“
Statt der Armut werden Arme bekämpft
Aus dem Verdrängungswunsch gegen Bettler wächst die Begründungs-Sucht: Man kommt in den Konflikt, dass man etwas tun soll. „Da fällt einem ein, dass es Bettlerbanden gibt –was es schon auch gibt – und dass sie alles, was man spendet, eh versaufen – was sicher auch vorkommt –, und dann bekämpft man lieber die Armen statt die Armut.“ – August Thalhamer stützt die Erklärung auf die Erkenntnisse von Sigmund Freud: Er hatte offengelegt, dass wir, was wir an uns nicht wollen, auf andere projizieren, auf sie übertragen. „Und dort bekämpft man es.“ – Der Faschismus hat, so Thalhamer, was man ablehnt, eliminiert, entfernt. Bei den Rechtsparteien gehe es wieder in die Richtung. „Braucht man bald wieder einen ‚Arierausweis‘, um in den Genuss von Unterstützung zu kommen?“ Thalhamer erweitert mit dieser Frage den Blick auf die Ausgrenzungs-Politik über die Bettlerverdrängung hinaus zur Kürzung der Mindestsicherung. Und mahnt: „Aus christlicher Sicht sollten die Armen die Hauptrolle spielen!“ Das hieße: helfen statt verbieten – Notschlafstellen, medizinische Versorgung, Streetwork.