Die Frage nach Gott wird uns durch Advent und Weihnachten begleiten: die Vielfalt, wie „Gott“ sich Menschen zeigt, die Widersprüchlichkeit, wie Menschen „Gott“ erfahren – zur Zeit der Bibel, bis heute.
Wenn ich „Gott“ manchmal unter Anführungszeichen setze, dann deshalb, um zu erinnern, dass „Gott“ immer größer ist als unsere Worte. „Was man mit Gott alles machen kann. Man kann Gott verantwortlich machen für Hunger und Elend. Man kann Gott leugnen, weil er sich nicht sehen lässt und Unglück nicht verhindert. Man kann Gott mieten zu besonderen Anlässen: Er dient der Feierlichkeit und fördert den Umsatz. Man kann Gott nur für sich haben wollen und anderen – besonders Andersdenkenden – Gott absprechen. Man kann Gott für die eigene Macht gebrauchen, indem man sagt, alle Autorität komme von Gott. Man kann im Namen Gottes Kriege führen, Menschen verdammen und töten und sagen, das sei Gottes Wille. (. . .) Das alles aber ist gott-los. Man kann mit Gott nichts „machen“, weder ihn gebrauchen noch ausnutzen, denn Gott ist Liebe und daran hat nur Anteil, wer diese Liebe in sich selbst groß werden lässt.“ (Hubertus Halbfas) Gott ist uns anvertraut. Es liegt an uns, was wir mit Gott „machen“. Dass es an ihm liegt, hat auch Mose erfahren.
Was Mose verstanden hat
Nach dem Drama des Überlebens am Beginn seines Lebens wächst Mose zuerst in seiner eigenen Familie auf, dann am Hof des Pharaos, mit allen Möglichkeiten für eine erfüllte Zukunft. Nach der Ermordung eines Sklavenaufsehers flieht er in die Steppe, lässt sich dort nieder und heiratet. Das Leben scheint seinen Weg genommen zu haben, Familie, Schaf- und Ziegenherden. Doch Mose kommt beim Weiden seiner Herde in die Nähe „Gottes“. Und Gott zeigt sich ihm, Mose wird neugierig. Im Gespräch heißt es: Gott schaut, sehr genau sogar. „Angeschaut hat Gott das Elend und die Bedrückung seiner Menschen, gehört den Schrei und die Leiden, zu befreien ist Gott gekommen.“ Mose widerspricht mit keinem Wort, Mose weiß vom Elend und von der Not in Ägypten, er war es ja, der einen Aufseher erschlagen hatte. Doch all das hat eigentlich mit ihm nichts mehr zu tun. Er ist in der Steppe, verheiratet, sein Leben verläuft geordnet. Bis die Anrede Gottes dies alles verändert: „Nun geh, ich schicke dich . . . führe mein Volk . . . Ich werde dasein bei dir.“ (Ex 3, 12). Schwierig zu übersetzen bleibt der Name Gottes: „Ich bin da“. So ist Gott erfahrbar: „Ich werde dasein, als der ich dasein werde“ (Ex 3, 14).
Jesus ist der „Ich-bin-da“
An Weihnachten feiern wir, dass Gott unter uns Menschen da ist – in einem Kind, auf so selbstverständliche und zugleich ganz besondere Weise. Für seine Jüngerinnen und Jünger war in Jesu Leben und Sterben erfahrbar, dass Jesus nicht nur den Weg Gottes zeigt und auf Gott hinweist, sondern dass in Jesus sichtbar wird, wie Gott selbst ist. Der „Ich-bin-da“ ist konkret – in Jesu Taten und Worten, in Tod und Auferstehung. Vor seinem Sterben beauftragt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger: Handelt wie ich, heilt, vergebt die Sünden, verkündet, dass „Gott“ mitten unter uns ist – wo immer wir füreinander und miteinander „da sind“.
Uns zugemutet: da zu sein
Gott ist uns anvertraut. „Ich-bin-da“ ist uns anvertraut. In unserer Obhut ist Gott. Uns ist zugemutet, da zu sein. „Ich-bin-da“ hat für Mose plötzlich mit ihm selbst zu tun. Gott ist uns anvertraut, Gott geschieht, wo ein Mensch da ist, mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Wo ein Mensch – wie Mose – sieht und hingeht und hört und antwortet. Der „Ich-bin-da“ ist uns anvertraut, es liegt an uns, „da zu sein“.
In einem Schulbuch für die 8-9-jährigen Kinder heißt es: „Sag es, wenn ich mich verkriechen möchte, wenn ich meine Familie nicht sehen mag, wenn ich genug habe von der Schule. Sag: Ich bin bei dir. Sag es, wenn die schlimmen Träume kommen, wenn ich in der Nacht aufschrecke, wenn ich am Morgen nicht aufstehen mag. Sag: Ich bin bei dir . . . Sag es immer: Ich bin bei dir.“
Ich bin bei dir
Dies ist der Name Gottes: Ich bin bei dir! Auch wir können einander sagen: „Ich bin bei dir.“ Dann führen wir den Auftrag fort, den Gott seit Mose den Menschen gibt: Einander nicht im Stich lassen, das Elend sehen, das Klagen hören – und handeln, das Leid verändern. Es liegt an uns, ob wir in glücklichen und in schweren Zeiten sagen können: Ich habe Gott erfahren, ich habe „Ich-bin-bei-dir“ erlebt.
Helga Kohler-Spiegel, Professorin für Religionspädagogik an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Feldkirch.