Gott mit Händen suchend „ertasten“, so wie Sehbehinderte mit ihren Händen das Gesicht ihres Gegenübers ertasten.
Seine Gottsuche hat Kurt Marti in seinem Gedichtband „Abendland“ in Worte gefasst. großer gott klein großer gott: uns näher als haut oder halsschlagader kleiner als herzmuskel zwerchfell oft: zu nahe zu klein – wozu dich suchen? wir: deine verstecke
Wir reden von Gott in Gegensätzen, um zu erinnern, dass alles, was wir über Gott sagen, begrenzte Aussagen sind. Gott selbst ist umfassender, größer, schwieriger, widersprüchlicher, . . . als all unser Denken und Reden von Gott.
Dem unbekannten Gott einen Namen geben
Vor dieser Frage stand bereits Paulus, als er – in Athen angekommen – mit seiner Predigt in den Synagogen auf wenig Resonanz stieß. Auf dem Hauptplatz in Athen – „alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören“ (Apg 17, 21) – dort ist Paulus im Gespräch mit philosophisch interessierten Menschen, ihnen erzählt er von seiner „Entdeckung“ der Botschaft Jesu, mit ihnen diskutiert und streitet er. Und auf diesem Platz entdeckte Paulus ein Heiligtum für „einen unbekannten Gott“. Paulus nutzt die Vorstellungen der Menschen zu seiner Zeit, um mit ihnen über die „neue Lehre“ von Tod und Auferstehung Jesu zu sprechen. Also knüpft Paulus an diesen Altar an, um den unbekannten Gott bekannt zu machen, um dem unbekannten Gott einen Namen zu geben. „Sie [die Menschen] sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern.“ (Apg 17, 27)
Gott mit den eigenen Händen „ertasten“
Gott „ertasten“ erinnert daran, wenn ein sehbehinderter Mensch mit seinen Händen ein Gesicht zu erkennen versucht, es ertastet. Gott „ertasten“ erinnert daran, wenn wir im Dunkeln in der Wohnung etwas suchen oder einen Schalter im Keller. Wir brauchen unsere Hände, um Gott zu ertasten, wir können nur über unsere Hände spüren, wie Gott ist. Wir brauchen die Berührung mit Gott, wir können die Hände nicht in den Schoß legen, sondern müssen sie verwenden, vielleicht sogar schmutzig machen, damit wir Gott begegnen können.
Eigene Bilder und Sprache für das Ertastete finden
Um dann auszudrücken, was wir „ertastet“ haben, brauchen wir Bilder und Sprache. Und dafür eignen sich Gedichte. Rainer Oberthür, Religionspädagoge in Aachen, hat mit Volksschulkindern den Text von Kurt Marti zum Ausgangspunkt für eigene Gedichte gewählt. „großer gott klein“ – das regt weitere Gegensatzpaare an: starker gott schwach, naher gott weit, bekannter gott unbekannt, heller gott dunkel, allmächtiger gott ohnmächtig, lauter gott still, trauriger gott froh.
Vielleicht fallen Ihnen weitere Gegensatzpaare ein. Wir können die Gegensatzpaare auch umdrehen und aus dem „bekannter gott unbekannt“ auch „unbekannter gott bekannt“ lesen. Und dann können wir unsere eigenen Texte schreiben, indem wir uns anlehnen an den Text von Kurt Marti, und ihn zugleich verbinden mit unseren eigenen Überlegungen.
lächelnder gott traurig
du lachst dein trauriges gelächter du lachst traurig du verstehst dich nicht ich gebe dir ein zeichen geheimnisvoll du musst ich weiß aus lächelnder trauer dich findendu suchst dich in der liebe aber weißt es nicht das leben ist dir nahe lächle die trauer an! (Laura)
starker gott schwach
stark wie ein wal schwach wie eine ameise klein im krieg groß in der liebe schwach im zerstören stark im wieder aufbauengott ist stark gott ist schwach (Markus)
Die Beispiele der Kinder können uns anleiten, den bekannten-unbekannten Gott zu erspüren und zu ertasten – bei seinen Verstecken, bei uns Menschen. (Die Texte stammen aus: Rainer Oberthür, Die Seele ist wie eine Sonne, München 2000; darin sind weitere Texte zu finden.)