Gottes tiefe Zuneigung zum Menschen und zum Leben ist Grundton christlichen Lebens.
Vor einiger Zeit wurden Politikerinnen und Politiker gebeten, ihre Wohnungen zu öffnen und Einblick in ihr Alltagsleben zu geben. Dabei erzählten sie, welches Bild, welcher Gegenstand, welche Möbel ihnen besonders wichtig sind, was sie damit verbinden. Das Spannende an diesen kleinen Reportagen war für mich, dass ich meine Einschätzung der jeweiligen Person mit der Botschaft der gesehenen Räume verglich: Wie passt das Gezeigte zu ihm, zu ihr, wo gibt es für mich eine Übereinstimmung und wo ungewohnte Seiten, Überraschungen?
Begegnung, die verändert
Eine ähnliche Neugierde mussten wohl auch jene beiden Männer gehabt haben, die sich vor über 2000 Jahren auf die Fersen des ungewöhnlichen Rabbis aus Nazaret machten. Denn als Jesus sie bemerkte und fragte, was sie wollten, stellten sie ihm – direkt und ohne Umschweife – die Frage: Wo wohnst du? Der Mann aus Nazaret lud sie darauf hin ein: Kommt und seht! Anders als die drei älteren Evangelisten lässt Johannes die „Sache Jesu“ demnach mit einer Einladung in die eigene Wohnung, in das unmittelbare Lebensumfeld beginnen. Es braucht hier nicht große, wirkmächtige Worte oder gar ein Fischfang-Wunder: das Alltagsleben allein genügt, reicht aus! So erzählt der Evangelist Johannes, dass die beiden Männer den ganzen Tag mit Jesus verbrachten. Was sie hier bei ihm und mit ihm erlebten, sahen und hörten, hat sie so berührt, so in ihrer Mitte getroffen, dass sie überzeugt waren: Wir haben den Messias gefunden, jenen sehnsüchtig Erwarteten, der die Hoffnungen der Menschen auf ein geglücktes Leben erfüllen kann. Einer der beiden Männer, Andreas, geht darauf hin zu seinem Bruder Simon – der später Petrus genannt wurde – und führt ihn zu Jesus.
Diese wunderschöne Episode macht besonders deutlich, worum es dem Mann aus Nazaret in seiner Verkündigung ging. Im Zentrum standen dabei nicht die Vermittlung einer neuen Lehre, nachzusprechende Satz-Wahrheiten oder das Einbläuen von bestimmten Moralvorschriften. Im Wirken Jesu und in der Begegnung mit ihm spiegelt sich vielmehr ein neuer Zugang zum Leben, ein neuer Blick auf die Welt – und damit verbunden ein neuer Lebensstil und eine neue Praxis.
Was Jesu Leben prägte
Was aber ermöglichte Jesus diesen neuen, sinnerfüllenden Zugang zum Leben? Was war die Grundlage seiner „ansteckenden“ Menschlichkeit, seines herausfordernden Handelns, seines befreienden Denkens? Wie konnte dieser Mann seine Anlagen so entfalten, dass er eine derartige Weite und Tiefe ausstrahlte? Jesus wird sicher von seiner Familie geformt worden sein. Dennoch setzte er sich später energisch von ihr ab. Er wurde geprägt durch die Religion seines Volkes, obwohl er später auch hier manches in Frage stellte. Bleibenden Eindruck machte auf ihn Johannes der Täufer.
Trotzdem findet sich bei Jesus später eine ganz andere Botschaft, ein ganz anderes Handeln, ein ganz anderer Zugang zum Leben. In den wenigen Andeutungen zeigt sich schon: Es gab neben den vielen Einflüssen noch eine besondere Inspirationsquelle, die Jesus im Laufe seines Lebens immer intensiver prägte, immer mehr herausforderte und in Bewegung hielt. Das, was den Mann aus Nazaret formte, war die lebendige Beziehung zum Gott Israels. Die Beziehung zu diesem Gott weitete und vertiefte das Denken Jesu, öffnete seinen Horizont, prägte seine Mitmenschlichkeit, erfüllte sein Dasein mit Sinn.
Gottfried Bachl drückt das so aus: „Jesus . . . ist in Person das Zeugnis für die ganz andere Art der Liebe Gottes. . . . Dort, wo diese Liebe brennt, wie in Jesus, entsteht . . . in der Flüchtigkeit eines kurzen Lebens die unvergessliche, ganz ungewöhnliche, über alle Mittelmäßigkeit hinausspringende Gestalt.“
Grundmelodie des Lebens
Christsein hat daher in besonderer Weise mit einem „inspirierten“ Leben zu tun. Maßgebend ist dabei: Spiegelt sich in unserem Alltag, in unserem Tun und Denken, in unseren konkreten Beziehungen etwas von der Weite und Tiefe Gottes wider? Zeigt sich hier – im konkreten Alltag – etwas von jener Liebe Gottes zum Leben und jener tiefen Zuneigung zu den Menschen, die Jesus auf so faszinierende Weise prägten?
Stefan Schlager, Referent für Theologische Erwachsenenbildung der Diözese Linz, verheiratet und Vater einer Tochter, wohnt in Pichl/Wels.