Die Bergpredigt zwischen Faszination und Überforderung
Ausgabe: 2004/03, Bergpredigt, Heine, St. Severin, Mose, Konflikt, Freibrief
13.01.2004 - Josef Wallner
Über die „Psychologie der Bergpredigt“ referierte die Wiener Theologin Susanne Heine bei der sechsten Akademie des Forums St. Severin in Linz.
Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. – Sätze aus der Bergpredigt gehören zu den bekanntesten Passagen der Bibel, zu den faszinierendsten und widerspüchlichsten zugleich. Die Rede Jesu, wie der Evangelist Matthäus sie in Kapitel 5 bis 7 seines Evangeliums überliefert hat, zieht nicht nur Christen in ihren Bann, erklärt die evangelische Universitätsprofessorin Susanne Heine. So bezeichnete der Hindu Mahatma Ghandi die Bergpredigt als einen der größten Texte der Menschheit. Besonders die Forderung nach Gewaltverzicht hatte es ihm angetan.
Entschärfungen
Bei aller Faszination, die die Bergpredigt ausübt sie bleibt ein schwieriger Text. Vor allem die Frage, wie sich die Forderungen im Alltagsleben verwirklichen lassen. Schon die Diadache, eine frühchristliche Schrift an der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert, versucht zu beruhigen: „Wenn du das ganze Joch des Herrn tragen kannst, dann wirst du vollkommen sein. Kannst du es aber nicht, dann tue, was du kannst.“ Heine stellt einen sonderbaren Umgang mit der Bergpredigt fest. Da wird zum Beispiel das Schwurverbot von den Kirchen ignoriert und andererseits das Scheidungsverbot – in der katholischen Kirche – absolut gesetzt. Um diesem Dilemma zu entkommen, gibt Heine einen Schlüssel zum Verstehen: Die Bergpredigt ist keine Sammlung von zusätzlichen Gesetzen, sondern ist als Kommentar zum Gesetz des Mose zu verstehen.
Bergpredigt als Kommentar
Die Bergpredigt soll deutlich machen, welche Absicht hinter dem Gesetz des Mose steht. Und die Bergpredigt will wach rütteln. Heine sieht ihren Verständnis-Schlüssel in der Bergpredigt selbst begründet. „Amen, ich bin nicht gekommen um das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen“, sagt Jesus (Mt 5,17). Und gegen Ende der Bergpredigt wird den Hörer/innen eingeschärft, diese Weisungen nicht zum Richten zu benutzen (Mt 7,1–5).Lüstern ansehenUnter dieser Perspektive bekommen für Heine auch jene Stellen eine paktische Bedeutung, die die Menschen zu überfordern scheinen. „Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“, ist für Heine der Anstoß sensibel mit dem Nächsten umzugehen und sich zu fragen: „Wann verletze ich Menschen durch mein Verhalten?“ Und in der Aufforderung unbedingt Frieden zu schließen, steckt eine Frohe Botschaft: „Wir sind nicht Sklaven der Schuld. Wir sind fähig Konflikte zu bereinigen.“ „Wer eine Frau nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon die Ehe gebrochen“ (Mt 5,28), verweist nach Heine auf die Sehnsucht der Menschen nach Einmaligkeit. „Wer seinen Partner oder seine Partnerin in seiner Einmaligkeit verletzt, tut ihm und ihr sehr weh.“ Daher die Mahnung, sich nicht den Gefühlen spontanen Begehrens auszuliefern.
Auge für Auge
Das Gesetz „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ hält Menschen gefangen. Es gibt andere Formen mit Konflikten umzugehen, als jemanden vor den Richter zu schleppen. Die Gefahr sich in Gefühlen des Hasses gefangen zu halten, ist groß, meint Heine. Hass ist wie Galle, die das Leben vergiftet. Jesus befreit mit seiner Weisung die Menschen, nicht Sklaven ihrer Gegner zu sein, erklärt Heine.Die Bergpredigt fordert keinen zwangneurotischen Gehorsam und ist kein Freibrief für achselzuckenden Leichtsinn. Sie will vielmehr einen Weg der Entwicklung anstoßen. Heine: „Am Anfang des Weges stehen aber die Seligpreisungen – mit ihren Warnungen und mit ihrem Trost.“