Schritt für Schritt ging es abwärts im Leben von Franz Großauer – bis es nicht mehr tiefer ging: betrunken, Kopfverletzung beim Eisstockschießen, Koma, schwere Behinderung. Mit dem Leben am Ende – bis Menschen aus seiner Heimat Steinbach an der Steyr Kraft zum Neuanfang gaben.
Ausgabe: 2016/17, Großauer, Verletzung, Neuhuber,
26.04.2016 - Josef Wallner
Mein Vater verstarb frühzeitig, meine Mutter wurde zur Alkoholikerin. Liebe und Geborgenheit waren mir fremd. Nach der Volksschule begann ich mit einer Tischlerlehre, die ich auch abschloss. Ich heiratete und es kamen drei Kinder zur Welt. Meine Frau war bald überfordert mit den Kindern und dem Haushalt. Beide suchten wir Zuflucht im Alkohol, bis die Ehe völlig zerrüttet war. Die Jugendwohlfahrt nahm uns die Kinder weg. Wir ließen uns scheiden. Allein und ohne Hoffnung lebte ich auf dem kleinen Anwesen, zu dem einige Joch Grund gehörten. Ich wurde immer mehr zum unerwünschten Besucher der Gasthäuser. Endlich fand ich Arbeit in einem Beschäftigungsprojekt für Langzeitarbeitslose. Während der Arbeitszeit herrschte striktes Alkoholverbot, aber nach Arbeitsschluss begann die alte Sucht – auch am Freitag, dem 11. Jänner 1996. Trotz meiner Alkoholisierung und der ungeeigneten Arbeitsschuhe wollte ich unbedingt beim Eisstockschießen mitmachen. Ich stürzte und zog mir beim Aufprall auf eine Betonbegrenzung ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Sie brachten mich auf die Intensivstation des Krankenhauses Steyr. Wochenlang lag ich im Koma. Eine Krankenschwester hatte eines Tages die Idee, das Bellen meines Hundes, der in dieser Zeit von einem Nachbarn betreut wurde, auf Tonband aufzunehmen. Dieses Bellen holte mich aus dem Tiefschlaf. Mein Zustand war schockierend. Ich war nicht mehr in der Lage zu sprechen oder zu schreiben. Eine Körperhälfte konnte ich kaum noch bewegen. Nach drei Monaten wurde ich zur Reha nach Wien-Meidling überstellt. Als mich der erste Bekannte aus meinem Heimatort besuchte, erfuhr er vom Personal der Reha-Anstalt, dass es kaum Hoffnung auf einen Heilungsfortschritt gäbe. Außerdem lehne ich jede Therapie ab, wurde ihm gesagt. Diese Ausweglosigkeit veranlasste ihn, die Anschrift vom Reha-Zentrum auf Klebeetiketten zu schreiben. Er verteilte diese an mehrere Personen in Steinbach mit der Bitte, einige Zeilen an mich zu richten, mir ein Foto oder eine Zeitung von zu Hause zu senden.
Auf einmal erhielt ich ständig Zusendungen aus der Heimat und wurde zum häufigsten Postempfänger in der Reha-Anstalt. Ich spürte, dass ich von den Menschen meiner Gemeinde nicht vergessen und auch nicht abgeschrieben wurde. Ich begann die angebotenen Therapien ab sofort mit Konsequenz auszuführen. Die Freude an den kleinen Fortschritten, die ich machte, erfasste auch die Therapeutinnen, die mit großer Zuwendung mit und an mir arbeiteten. Ich lernte wieder, Buchstaben zu Worten zusammenzufügen und sogar zu sprechen. Nach sieben Monaten in Wien-Meidling kehrte ich – noch immer stark beeinträchtigt – in mein Haus zurück. Seither führe ich den Haushalt selbst und halte eine Anzahl von Kleintieren, die mir zur Lebensfreude geworden sind. Am Hof mache ich von der Heuernte bis zur Schneeräumung alles, trotz meiner schweren Behinderungen. Mit meinem Mopedauto bin ich seit Jahren unfallfrei unterwegs und kann meine Angelegenheiten selbst regeln. Ich habe erst in meinem „zweiten Leben“ die Schönheit und Bedeutung des Lebens und der Natur erfahren. Was mir Sorgen macht, ist unser gedankenloser Umgang mit der gesamten Schöpfung.
Die Pfarre Steinbach an der Steyr hat am Schicksal von Franz Großauer erlebt, dass Ermutigung durch Briefe und Grußkarten Wunder wirken kann. Diesen Weg, Menschen unter die Arme zu greifen, führt die Pfarre nun weiter: Beim Altjahres-Gottesdienst wurden Karten verteilt, mit der Aufforderung, im Laufe des Jahres – zu Ostern oder aus dem Urlaub oder einfach so – einem Menschen zu schreiben, der sich über einen Kartengruß freut.