Kaum eine Pfarre organisiert zur Zeit eine Reise nach Israel-Palästina. Die Kirchenzeitung veranstaltet daher eine „Lese-Reise“. Führer durch das Land der Bibel ist Karl-Heinz Fleckenstein. Er lebt seit 23 Jahren in Bethlehem und Jerusalem.
Warum weiß ich nicht, aber schon als Student fühlte mich vom Land Jesu angezogen. Und zwar so stark, dass ich gleich dort blieb, als ich 1981 das erste Mal eine Pilgergruppe nach Israel begleitete. Kein Wunder, denn dort fand ich in Louisa nicht nur eine fachkundige Führerin, sondern auch meine zukünftige Ehepartnerin. Louisa ist Araberchristin und stammt aus Bethlehem. Wenn ich heute zurückschaue, dann muss ich sagen: Es war Liebe auf den ersten Blick. Als Theologe und Schriftsteller fand ich gleichzeitig in der Heimat Jesu auch meine „wahre“ Heimat. Beim Schreiben einer Forschungsarbeit über das biblische Ephraim brauchte ich nur von meiner Wohnung in Jerusalem zum Fenster hinauszublicken und die Hügellandschaft von Ephraim erhob sich am Horizont vor meinen Augen. Ich fühlte mich zurückversetzt in die angespannte Situation zur Zeit Jesu. Sie war ganz ähnlich wie wir es jetzt nach 2000 Jahren erleben: Der Druck einer Militärmacht, der aktive Widerstand heißblütiger Zeloten-Kämpfer, das Messiasfieber nach einem Herrscher, der das Land endlich befrieden wird. Das gehört zum Geheimnis des Landes: dass Gegenwart und Vergangenheit ineinander fließen. Die Glaubensgewissheit der Auferstehung ist es, die uns Christen in Israel und Palästina immer wieder neue Hoffnung verleiht, doch weiterhin in diesem von Spannungen heimgesuchten Land auszuhalten. Denn viel zu viele Christen sind inzwischen ausgewandert, weil sie für ihre Kinder keine gesicherte Zukunft mehr sehen. Natürlich gibt es unter materiellen Gesichtspunkten auch keine Sicherheit. Uns klingen aber die Worte des Jerusalemer Patriarchen Michel Sabbah im Ohr, der die Christen im Land der Bibel immer wieder eindringlich beschwört, doch als „lebendige Steine“ der Mutterkirche in Jerusalem treu zu bleiben. Nur so können sie als Zeugen des leeren Grabes den folgenden Generationen und auch den Pilgern aus aller Welt die leuchtende Fackel von der Gewissheit über auferstandenen Herrn weiterreichen. Es darf nicht geschehen, dass die Kirche von Jerusalem eines Tages völlig ausgeblutet wäre und die Pilger nur noch tote Steine biblischer Ruinen vorfänden. Gemeinsam mit meiner Frau Louisa führte ich unzählige Gruppen durchs Land. Zu unserem Programm gehörten neben den steinernen Sehenswürdigkeiten immer auch Begegnungen mit Christen in Israel und Palästina. In der nächsten Ausgabe werde ich als erste Station unserer Rundreise in Bethlehem Halt machen – in der Geburtsstadt Jesu, wo die Familie meiner Frau seit Generationen lebt.
Kommentar
Mit den Augen der Bergpredigt
Karl-Heinz und Louisa Fleckenstein sind seit 1981 verheiratet und haben zwei Töchter und einen Sohn. Alle drei Kinder studieren in Europa. Zur Zeit wohnt das Ehepaar Fleckenstein in Jerusalem. Über die aktuelle Situation schreiben sie: „Man kann in diesen Tagen der Gewalt das Land der Bibel aus zwei Blickwinkeln betrachten: entweder in dumpfer Resignation, in Hass und Hoffnungslosigkeit angesichts von Gewalt und einer sich monströs erhebenden Mauer mitten durch das Bibelland. Oder im Geist der Bergpredigt, die daran erinnert, dass die „Friedensstifter“ Kinder Gottes genannt werden, dass die Sanftmütigen letztlich das Land besitzen werden, da an ihrer inneren Stärke jede Mauer zerbrechen muss. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden. Weil der Geist der Bergpredigt den längeren Atem hat.“