Keine der Geschichten aus dem Neuen Testament geht mir immer wieder so nahe wie die Erzählung von den beiden Emmaus-Jüngern, bekennt Karl-Heinz Fleckenstein.
Emmaus ist eine Herausforderung für unser Leben. Sind wir doch alle unterwegs nach Emmaus. Mit unseren endlosen Fragen und Nöten.
Verbittert und verzweifelt stolpern die beiden Jesusfreunde zurück in ihr Dorf. Während sie miteinander sprechen, hat sich ihnen ein Fremder ganz beiläufig genähert. Er zeigt sich interessiert an ihrem Schicksal. Die beiden Männer heben ihren Blick von der staubigen Straße und schauen in die klaren Augen des Mannes. Das erloschene Feuer in ihren Herzen beginnt neu zu glimmen.Je näher sie dem Erkennen kommen, desto mehr verlangen sie nach Gemeinschaft mit diesem Fremden. Als er weitergehen will, wird ihre Einladung geradezu zu einem Gebet: „Bleib bei uns!“ Der Gast wird zum Gastgeber. Beim Brechen des Brotes offenbart sich Jesus als der Auferstandene. Mit ihm ist der neue Tag angebrochen. Nun ist er da und schenkt ihnen von neuem Gemeinschaft. Es fällt ihnen wie Schuppen von den Augen.
Wo aber liegt dieser Ort, den allein das Lukas-Evangelium erwähnt? Im Laufe der Geschichte des Heiligen Landes war er längst untergegangen.
Emmaus im Gestrüpp
Erst im Jahre 1878 identifizierte eine palästinensische Mystikerin, die Karmelitin Mirjam Baouardy, Emmaus erneut. Die Jerusalemer Bibelschule Ecole Biblique bestätigte diese Entdeckung in den Jahren 1924 und 1930 durch archäologische Ausgrabungen. Überraschende Ergebnisse kamen zu Tage: zwei Basiliken aus der byzantinischen Zeit und eine Kreuzfahrerkirche.
Über 70 Jahre lag Emmaus in einer Art Dornröschenschlaf. 1992 baten die Karmelitinnen aus Betlehem meine Frau Louisa und mich, den inzwischen verlassenen Ort mit Hacke, Schaufel und Pinsel archäologisch der Vergessenheit der Geschichte zu entreißen. Aus einem „unverschämten“ Glaubensakt heraus gründeten wir eine internationale Assoziation der Freunde von Emmaus. Tatsächlich blieb das Echo nicht aus. Junge Menschen aus Deutschland, Finnland, den USA, Belgien, Russland, Österreich, Frankreich, England und anderen Nationen machten sich mit uns auf den „Weg nach Emmaus“, gleichsam als „Detektive der Vergangenheit“, um Indizien auszugraben. Menschliche Skelette, in Richtung Osten und mit verkreuzten Armen bestattet, signalisierten den christlichen Glauben frühchristlicher Mönche, die vor rund 1600 Jahren als „Freunde von Emmaus“ im Vertrauen auf den auferstandenen Herrn entschlafen waren.
Antike Grabstätten in einem alten Steinbruch mit aufgefundenen herodianischen Öllampen und Ossuarien weisen auf Begräbnisbräuche des ersten Jahrhunderts hin. In einer byzantinischen Begräbnisstätte aus dem 4. bis 7. Jahrhundert fanden wir 33 unversehrte Öllampen, mit Kreuzen und Inschriften versehen, die vom Licht Christi sprechen.
Erstmals seit dem 5. Jahrhundert fiel wieder das Tageslicht auf Mosaike im Basilikenbereich. In der täglichen Arbeit auf dem Grabungsfeld erfahren wir bis heute, was es heißt, als internationales Team ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben. Es geht dabei nicht nur um ein archäologisches Forschen nach dem versunkenen Emmaus-Nikopolis. Es ist auch ein Stück Weg, den wir gemeinsam zurücklegen dürfen zu den Quellen unseres Glaubens.
Lesertipp
Emmaus erforscht
Eine der bekanntesten Erzählungen der Evangelien ist die Emmaus-Geschichte. Seit 1993 finden in Emmaus in Judäa Ausgrabungen statt, deren vorläufige Ergebnisse hier erstmals veröffentlicht werden. Neben dem archäologischen Schwerpunkt (mit vielen Fotos und Abbildungen) werden historische Sachverhalte beleuchtet und exegetische Fragen von namhaften Fachleuten geklärt.
Fleckenstein, Karl-Heinz/Louhivuori, Mikko/Riesner, Rainer, Emmaus in Judäa. Geschichte – Exegese – Archäologie, Gießen 2003, 336 Seiten, 30.80 Euro.