Jungfrau – „gestürzt“ und doch brandaktuell
Ausgabe: 2004/51, Jungfrau, Maria,
15.12.2004 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Man hat die „Jungfrau“ Maria vom Altar gestürzt. Doch die Botschaft dieses Geheimnisses ist gerade heute von einer brennenden Aktualität.
„Die unschuldige und jungfräuliche Maria? Nein, danke! Ein solches Ideal hat doch mit dem realen Bild der Frau von heute nichts mehr zu tun!“ So oder ähnlich denken viele Durchschnittszeitgenossen. Dabei hat man sie jahrhundertelang als Jungfrau verehrt. Alt und Jung, Frau und Mann waren sich in dieser Frömmigkeit einig. Die 68er Jahre des letzten Jahrhunderts scheinen das Blatt gewendet zu haben. „Wir sind Frauen. Sind weder Huren noch Madonnen!“, skandierten die italienischen Feministinnen und stürzten die Jungfrau Maria vom Altar.
Der verlachte Widerspruch
Kaum eine theologische Aussage wurde so verhöhnt, kaum ein Bild so lächerlich gemacht wie das der Jungfrau. Und dies nicht nur durch die Kirchenfresser. Engagierte Theologinnen, motivierte Kirchenleute kritisieren das Bekenntnis oder übergehen es mit peinlichem Schweigen. Weil alle diese Frömmigkeit mit verklemmter Sexualität identifizieren. Und mit gynäkologischen Befunden! Da die Sexrevolte unser Verhalten veränderte und wir uns mit Gewalt aus den Verklemmungen befreiten, stößt uns nicht nur die Gebetssprache auf. Verletzt, aber aufgeklärt, auf jeden Fall abgebrüht lachen wir über den Papst, der Maria als „Mutter und Jungfrau zugleich“ bezeichnet und die moderne Frau durch diesen Fokus sehen möchte.
Die skandierenden Feministinnen haben aber nur einen Teilerfolg gehabt. Zwar ist es ihnen gelungen, die Madonna vom Sockel zu stürzen. Die „Hure“ blieb ein fester Bestandteil unserer Kultur. Deren Zahl ist sogar gestiegen. Und auch die Tristesse der Lebensperspektiven. Daran wird der Emanzipationskampf um die Rechte der Prostituierten nichts ändern. Wenn sich nämlich die erbsündhaft geschädigte Situation irgendwo in unserer bürgerlichen Welt auf lügnerische Weise verdichtet darstellt, dann in den Rotlichtbezirken unserer Metropolen und auf den Straßen der Armutsregionen. Die „Moralapostel“ erliegen einem fürchterlichen Trugschluss, wenn sie die zur Schau dargestellte Erotik als den Grund des Übels geißeln. Aber auch diejenigen, die darin den Inbegriff der befreiten Sexualität sehen wollen. Oder die Bezirke bloß als Tourismusattraktion betrachten. All die Gruppen sind blind für Gewalt und Lüge, die mit Bordellvierteln auf Gedeih und Verderb gekoppelt zu sein scheinen. Selbst der beste Zuhälter ist dort ein schlechter Anwalt menschlicher Würde. Sexualität würde in unserem Leben kein Problem darstellen, wenn sie bloß nicht mit Rivalität, Neid, Unterdrückung, Ausnützung, ja Zerstörung der Würde der Sexpartner verbunden wäre. Das kann man am biblischen „Hohen Lied“ lernen. Die Begriffe „Jungfrau“ und „unschuldig“ haben also mit diesem Assoziationsfeld etwas zu tun. Nicht mit „Gynäkologie“!
Gottes heilsames Handeln
„Jungfrauengeburt“ gehört zum Standard der religiösen Mythen. Weltweit erzählen sie, dass mächtige Götter irdische Frauen vergewaltigen und mit ihnen neue Götter und Heroen zeugen. Wie soll denn auch Gottheit und schwacher Mensch miteinander verkehren? Eine(r) wird in diesem Geschehen den kürzeren ziehen und aus dem „Verkehr“ verletzt, oft gar zerstört herausgehen.
Die biblische Botschaft spricht hier eine radikal andere Sprache. Da wird von der Begegnung Marias mit dem Engel erzählt, von einem Dialog, von der Kooperation. Nicht von Vergewaltigung: Die biblische Geschichte stellt den Inbegriff von Behutsamkeit und Zärtlichkeit dar. Und auch den Inbegriff des Mysteriums: wohltuendes Geheimnis. Maria empfängt und gebiert ihren Sohn ohne den geringsten Anschein von Lüge und Gewalt. Dass es zwischen dem Teufelskreis der Rotlichtviertel und den bürgerlichen Schlafzimmern mehr Verbindungslinien gibt als wir zugeben, das wissen wir alle. Die Unschuld wird verloren, weil wir uns gegenseitig vergewaltigen, dies voreinander ableugnen und gute Miene zum bösen Spiel machen. Deswegen verträgt unsere Kultur die Klarheit des Bekenntnisses nicht. Ehrlichkeit in beiden Richtungen würde uns gut tun.