Ein Geheimnis des Glaubens: Ich bin, was ich bin, und das verdanke ich Gottes Zustimmung
Ausgabe: 2005/21, Scheurecker, Dem Leben Gestalt geben, Geheimnis des Glaubens, Meditation
25.05.2005 - Sr. Margret Heidi Scheurecker
Besonders gut waren meine Fremdsprachenkenntnisse ja nicht, als ich mit 17 Jahren das erste Mal nach England kam. Aber dieses Wort aus der Sonntagspredigt verstand ich sofort: „I am, what I am, by the grace of my God“ (1 Kor 15, 10). „I am, what I am . . .“, so hallte es durch den hohen gotischen Raum der Kathedrale von Oxford. Und der Nachhall dieses Wortes erfüllt heute noch meine innersten Räume: „I am, what I am . . .“ – Ich bin, was ich bin – dank der Zuwendung meines Gottes. Eine wunderbar befreiende Antwort auf mein bohrendes Fragen: Wer bin ich?
Ich bin nicht Produkt meiner Eltern, meiner Erziehung. Ich bin nicht, was Schulzeugnisse, Lohnzettel, Jubiläumsansprachen über mich sagen. Ich bin, weil ein großer Wille es wollte. Ich bin, was ich bin: Das selbstbewusste, unabhängige, einsame Stehen in Gott, bereit das Lebensgeschenk einzig und allein aus seiner Hand anzunehmen – Tag für Tag. Immerfort. „Als es Morgen wurde, stand Jesus am Ufer“ (Joh 21, 4). Dieser Auftakt zu einer geheimnisvollen Auferstehungserfahrung hat mich beim Gestalten meiner Tonform, meiner Vision vom befreiten Menschen begleitet. Der selbstbewusste, aufrechte Mensch, der zutiefst weiß, dass er sein Leben der Zustimmung Gottes verdankt, geht nicht unter. Er kommt auf die andere Seite. Er steht am rettenden Ufer. Die dunklen Schatten vergangener Ereignisse verlieren ihre Bedrohlichkeit. Die große Sonne eines strahlenden Morgens nimmt ihn in ihren schützenden Lichtkreis auf. Es berührt mich immer wieder: Nicht nur das fertige Werk, die gestaltete Tonform, spiegelt mir mein Selbstverständnis, auch der gesamte spannungsreiche Arbeitsprozess wird zu einem Symbol für die menschliche Existenz.
Erste Skizzen auf Papier: Ein Weg vom Flüchtigen, Unbestimmten zu immer größerer Klarheit. Aufbereiten des Materials: Die dunkle Tonmasse muss geschlagen, geknetet, ausgewalkt werden. Beginn konzentrierten exakten Arbeitens: Ganz bei der Sache sein, im Dialog mit dem Material, mit der Form – bis sie dasteht! Dann heißt es warten: Ton muss trocknen. Ungeduld schadet nur. Schließlich der Brand im Keramikofen, der Gang durchs Feuer. Bange Stunden. Nichts mehr tun können. Groß ist die Freude, wenn alles gut geht. Groß ist der Schmerz, wenn es Scherben gibt. Wieder von vorne beginnen . . . „I am, what I am, by the grace of my God.“ Wenn du weißt, wer du bist, weil du weißt, wem du dein Leben verdankst, dann tritt vertrauensvoll und angstfrei aus dir heraus! „Kommt her und esst“, sagt Jesus, der durch das Feuer Gegangene (Joh 21, 12). „Komm her“, sage ich: „Ich zeige dir, was ich geformt habe, was das Leben gestaltet hat. Komm her und schau dich satt!“
Meditation
Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude.
Immerfort blickt mich dein Auge an und ich lebe aus deinem Blick, du mein Schöpfer und mein Heil.
Lehre mich in der Stille deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, das ich bin. Und dass ich bin durch dich und vor dir und für dich.