Vor 40 Jahren wurde ein neues Bewusstsein für das Wort Gottes geweckt
Ausgabe: 2005/38, Animation für Kirche und Theologie, Bibel, Dei Verbum,
21.09.2005 - Walter Kirchschläger, Professor für Exegese des Neuen Testaments in Lu
Stärker als je zuvor hat das Zweite Vatikanische Konzil die Bibel in den Mittelpunkt der Kirche gerückt.
Vor dem Hintergrund der wechselhaften Vorgeschichte sind Mut und Leistung des Konzils im Blick auf das Bibelverständnis und den Umgang mit der Bibel nicht hoch genug zu gewichten. Auf der Grundlage der biblischen Botschaft wurde versucht, in einer neuen Sprache die Christusbotschaft und deren Relevanz für die heutige Welt zu formulieren. Dabei wurden Bibelzitate nicht nur nach Art der bisher üblichen „Steinbruch“-Methode zur Verzierung theologischer Aussagen herangezogen. Vielmehr wurde versucht, biblische Bilder und Aussagen als Grundlagen theologischen Denkens heranzuziehen, weiterzuführen und zu vertiefen.
Ein entscheidender theologischer Ausgangspunkt liegt in der Umschreibung des Wortes der Schrift. In ihm erschließt sich Gott selbst, insbesondere da der Auferstandene und Erhöhte das Verstehen der Schrift anleitet. Auseinandersetzung mit der Bibel ist demnach eine Form sakramentaler und personaler Gottesbegegnung im Prozess von Verkündigen, Hören und Antwort im Glauben. Daher wird auch vom „Tisch des Wortes“ den Glaubenden „das Brot des Lebens“ gereicht. Diese Sichtweise hat Konsequenzen für das Verständnis von Liturgie. Zugleich mahnt sie, die grundlegende Bedeutung der biblischen Offenbarung für Theologie und Kirche vermehrt wahrzunehmen. Dies geschieht etwa, wenn das Konzil versucht, das Geheimnis der Kirche zu umschreiben. Es reiht dazu biblische Bilder aneinander, die jeweils einen Aspekt von Kirche verdeutlichen können und zusammen ein Gesamtgemälde der Kirchenwirklichkeit ergeben. Vor diesem Hintergrund kann das Konzil seine Sicht der Kirche als dem Volk Gottes vorstellen und dabei von zahlreichen biblischen Anknüpfungspunkten ausgehen. Eines unter vielen weiteren Beispielen für das neu geweckte Bibelverständnis des Konzils ist die „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“. Ihre Einleitung bildet eine kompakte Zusammenfassung der gesamten Jesusverkündigung im Blick auf Solidarität, Schicksalsgemeinschaft mit und Heilswillen für alle Menschen. Damit ist der Zugang des Konzils zu den Menschen und zur Welt aus der Perspektive Jesu umschrieben und festgelegt.
In den 40 Jahren seit dem Konzil hat das Bewusstsein für die Bedeutung der Bibel in Liturgie und Katechese erheblich zugenommen. Theologinnen und Theologen sind bemüht, ihre Theologie von der biblischen Grundlage her und in entsprechenden Sprachformen zu entwickeln. Religionsunterricht und Erwachsenenkatechese stellen vermehrt die Vermittlung eines biblischen Gottesbildes und der biblisch bezeugten Rettungsgeschichte Gottes mit den Menschen ins Zentrum der Glaubensunterweisung. Aber es gibt auch gegenläufige Signale. Zahlreiche lehramtliche Texte lassen erkennen, dass die Theologie des Wortes Gottes, wie in Dei Verbum entwickelt, nicht oder nur sehr mangelhaft rezipiert, geschweige denn weitergedacht wurde. Versuche, die Bibel lediglich als „Steinbruch“ für die zu beweisende Argumentation heranzuziehen, werden erneut häufiger. Das Beispiel schlechthin dafür stellt der „Katechismus der Katholischen Kirche“ (1993) dar. Zwar zitiert dieser Dei Verbum, seine Prinzipien macht er sich jedoch nicht zu eigen. Dem steht – als Hoffnungszeichen – das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ (1993) gegenüber, das die verschiedenen Zugänge zur Bibel sachlich darstellt und konstruktiver Kritik unterzieht. Die Inkulturation der Bibelauslegung wird unter Hinweis auf die Situationsbezogenheit biblischer Schriften selbst nachdrücklich bejaht. Lediglich der fundamentalistische Zugang zur Bibel wird ausdrücklich als falscher Weg verurteilt. Das letzte Konzil hat für das Bibelverständnis einen entscheidenden Aufbruch ermöglicht. Endgültig gelungen ist er noch nicht. Es bedarf weiterhin aller Anstrengungen und aller Wachsamkeit, damit die Bibel tatsächlich die „Seele“ (die anima) – also das Animierende – für Kirche und Theologie werde.
Hintergrund: 40 Jahre "Dei Verbum"
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) war die erste kirchenweite Versammlung, die sich ausführlich mit dem Thema „Bibel“ beschäftigt hat. Erstmals widmete ein Konzil der Frage der Offenbarung mit „Dei Verbum“ ein eigenes Dokument, das sich mit dem Bibelverständnis auf Grundlage eines historisch-kritischen Zugangs beschäftigt und daraus bibeltheologische und pastorale Konsequenzen benennt. Nach heftigsten Diskussionen wurde Dei Verbum am 18. November 1965 mit 2344 Ja- und sechs Nein-Stimmen angenommen. Aus diesem Anlass findet am 30. September ein Festakt im Bildungshaus St. Virgil (Salzburg) statt. Weitere Jubiläumsbeiträge: www.bibelwerk.at