Eine der schillerndsten Figuren des Alten Testaments ist Mirjam, die Schwester des Mose. Bekannt als eine, die auf die Pauke haut, kam sie im Bibeltext jedoch völlig zu Unrecht nur in einer Nebenrolle vor.
Ihr Lied ist legendär: „Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.“ Mirjam in der Rolle, den eigentlichen Befreier, nämlich Gott zu loben, Mirjam als Bekennerin dieses Gottes, der nie von seinem Volk ging, obwohl dieses schon verzweifelte. Mirjam als Symbol für die Hoffnung, die letztlich in die Freude mündet. In Num 12 wird sie von Aussatz befallen, weil sie gegenüber Mose Kritik anmeldete. Im Prinzip beansprucht sie dort mit ihrem anderen Bruder Aaron ebenfalls einen Anteil an der Prophetie zu haben. Ihr beider Murren ist aber letztlich in einer Ablehnung der afrikanischen Frau des Mose begründet. Sieben Tage dauert die „Strafe“ und ist sie unrein, dann darf sie wieder ins Lager. Viel mehr erfährt man nicht über Mirjam. Erst die jüdische Tradition hat Mirjam wieder entdeckt und zu einer wahren großen Gestalt der israelitischen Frühzeit gemacht.
Ergriffen vom Geist Gottes. Nach jüdischer Ansicht ist nämlich das Wirken des Geistes Gottes für die Prophetie zuständig. Wer prophetisch redet, ist vom Geist ergriffen. Prophetie wird hier zusehends mehr zu einem Wissen um zukünftige Dinge, allerdings immer eingebunden in den starken Glauben an Gott und seinen Willen. Nach Ansicht der jüdischen Gelehrten war Mirjam von diesem Geist stark erfasst und konnte nur durch ihn das Lied am Schilfmeer anstimmen.
Botschafterin der Hoffnung. An einer anderen Stelle wird die Tatsache, dass Mirjam Musikinstrumente auf die gefährliche und ungewisse Flucht aus Ägypten mitgenommen hatte, als Zeichen ihrer Hoffnung und ihres Glaubens gewürdigt. Auch dieses hoffnungsvolle Verhalten und ihre Vorbildhaftigkeit muss man als prophetisch bezeichnen. Denn Mirjam steht für die Hoffnung der Israeliten in der Verzweiflung angesichts der Sklaverei. Sie appelliert im Wissen um Gottes Zukunft mit Israel, nicht aufzugeben und drängt ihre Eltern, an der Verheißung festzuhalten. Auch den Pharao weist sie auf seine Vergehen hin. Schon als fünfjährige Hebamme droht sie ihm Gottes Strafe für seine Taten an. Letztlich bewirkt ihr Einsatz, dass Mose zur Welt kommt, gerettet wird, ja, dass überhaupt die Geschichte im Gang bleibt. So gesehen steht Mirjam gerade in der jüdischen Tradition für eine zukunftsorientierte starke hoffnungsbestimmte Frau, die sich erfolgreich gegen Verzweiflung und Angst stemmt. Ihr Verdienst ist schließlich so groß, dass der Brunnen in der Wüste ihretwegen erscheint. Und sie stirbt am so genannten „Kuss Gottes“, nach jüdischer Ansicht den schönsten aller Tode. Erstaunlicherweise sind es gerade die Frauengestalten unter den Propheten, die uns diese Botschaft der Hoffnung besonders vermitteln.
Mirjam und viele andere Frauen. Die jüdische Tradition entdeckte in der Bibel noch eine Reihe weiterer prophetischer Frauengestalten. So nennt man in einem babylonischen Estermidrasch neben Mirjam, Debora und Hulda noch Sara, Rachel, Tamar, Hanna und Abigail und natürlich Ester. Sie alle waren vom Heiligen Geist begabt und hatten eine vorausblickende Einsicht. Ester ist wie Debora Retterin des Judentums, erhält in der jüdischen Tradition vor allem im babylonischen Midrasch in Megilla messianische Züge und wird zum Vorbild des Judentums in der Diaspora schlechthin.