Ernst Bräuer bei den Reichersberger Pfingstgesprächen über die Zehn Gebote
Ausgabe: 2006/23, Pfingsgespräche, Bräuer, Reichsersberg, Rektor, Gebote, Politiker
07.06.2006
- Kirchenzeitung der Diözese Linz
Die zehn Gebote sind zuerst ein politisches Dokument. Sie richten sich zunächst an die für das Gemeinwesen Verantwortlichen. Der künftige Rektor der Caritas Ernst Bräuer sprach darüber bei den „Reichersberger Pfingstgesprächen“.
Die Zehn Gebote schränken die Freiheit ein. Das ist der Eindruck vieler, was diese Kernsätze der Bibel betrifft. Doch Gott will nicht einschränken, meint Ernst Bräuer. Die Bibel selbst nennt den Sinn der Gebote: „... damit es uns das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt, wie wir es heute haben“ – deshalb soll man die Gebote halten. Vor Politikern des Landes und der Gemeinden machte Ernst Bräuer auch deutlich, wen die Gebote zuerst gemeint haben: nicht die einzelnen Menschen, sondern die Verantwortlichen des Gemeinwesens: „Du, Volksversammlung, Parlament, Landtag, Gemeinderat sollst die Rahmenbedingungen schaffen,“ damit es uns allen das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt, wie wir es heute haben“ (Dtn 6,24).
Wert der Verlässlichkeit. Den zentralen Wert der Gebote, den es auch in der Politik heute unbedingt zu schützen gilt, sieht Bräuer im „Wert der Verlässlichkeit“. Vater und Mutter zu ehren meint heute auch, dass Altersversorgung nicht auf einzelne abgeschoben werden darf. „Du sollst nicht morden“ meint Verlässlichkeit für Leib und Leben. „Du sollst nicht ehebrechen“ bedeutet die Verlässlichkeit in den Beziehungen. Familienwelt und Berufswelt vereinbar zu gestalten, das ergibt sich daraus als Anspruch an die Politik.
Kultur der Begrenzung. Die Gebote „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau und Haus“ setzen der alles verschlingenden Gier der Habenden, die Menschen zu Objekten des Kaufens und Verkaufens machen, eine Grenze. Übertragen auf heute sieht der Theologe darin die Notwendigkeit für eine Kultur der Begrenzung und Selbstbegrenzung. Insgesamt drängen die Gebote auf eine Politik, „die Vertrauen ermöglicht, indem sie Verlässlichkeit auch für die Letzten im Land schafft.“ Vertrauen ist der Boden, auf dem ein gutes Zusammenleben gedeiht. „Ja, es gilt sogar der Satz: Haben die Menschen Vertrauen, geht es auch der Wirtschaft gut.“ Dann verweisen die drei ersten Gebote auf die Mitte, darauf, was das oberste Prinzip des Handelns ist. „Denn was für uns oben ist, kommt auch als Geist auf uns herab.“ Und: „Nur wenn Gott Gott ist, kann der Mensch Mensch sein.“
Zum Thema
Pfingstgespräche
Die Reichersberger Pfingstgespräche haben einen hohen Stellenwert in der ÖVP. Die Zahl ihrer Mandatare, die an den Gesprächen im Stift teilnehmen ist groß. Landeshauptmann, Landtagspräsidentin, Staatssekretär, Landesräte, Abgeordnete, Bürgermeister, Funktionäre und viele andere setzen sich dem pfingstlichen Geist aus und erhalten Denk-Anstößiges für christlich-soziale Politik. Etwa wenn der ehemalige deutsche Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm über Kommunismus und Kapitalismus gleichermaßen den Stab bricht: Beide erheben (jeweils andere) Teilwahrheiten zur ganzen Wahrheit. Seiner Kritik am Börsenkapitalismus zollten die Zuhörer/innen spontan Applaus. Dies zeigt, wie sehr sie eine Politik wollen, die dem Turbo-Kapitalismus Einhalt gebietet. Blüm sagte: „Diese Wirtschaft wird keinen Bestand haben, die nach dem Motto funktioniert: Je höher der Entlassungsgrad der Arbeitnehmer, desto größer der Gewinn.“