Neue Reihe: Das Leben zur Zeit Jesu (7) – Kindersegen – mit fünf oder sechs Kindern noch lange nicht „asozial“
Ausgabe: 2006/33, Kinder, Erziehung
16.08.2006
- Karl-Heinz Fleckenstein
„Zu niedrig“ sei die Geburtenrate bei uns. Wer aber drei oder mehr Kinder hat, kann schon mal als „asozial“ angeschaut werden. Mutter, Vater und mehrere Kinder – eine große Familie war zur Zeit Jesu ein Zeichen für den reichen Segen Gottes.
In der Bibel werden Kinder immer als ein großer Segen des Himmels angesehen: „Kinder sind eine Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist ein Geschenk.“ (Ps 127, 3). Oder: „Wie ein fruchtbarer Weinstock ist deine Frau drinnen in deinem Haus, wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch.“ (Ps 128, 3). So wird gesegnet, wer Gott ehrt, sagt uns der Psalm weiters.Mütterliche und väterliche Liebe umgibt die Kinder, die sich oft in familiärer Festlichkeit, in Erholung und Spiel ausdrückt. Der Prophet Sacharja zeichnet uns davon ein buntes Bild: „Die Straßen der Stadt werden voll Knaben und Mädchen sein, die auf den Straßen Jerusalems spielen“ (Sach 8, 5). Gleichzeitig steht bei den Israeliten die Achtung vor den Eltern hoch im Kurs. „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Ex 20, 12), so das vierte der Zehn Gebote.
Was der Name eines Kindes alles erzählen kann. Bei der Namensgebung spielt im Leben der Semiten seit frühester Zeit die Mutter eine wichtige Rolle. Von ihr erhält das Neugeborene seinen Namen. So nennt Eva ihren dritten Sohn Set – „Setzling“, weil Gott ihr einen anderen Nachwuchs für Abel, den Kain erschlagen hatte, einsetzt (Gen 4, 25). Auch Lea, die zunächst unfruchtbar bleibt, gebiert schließlich einen Sohn. Sie nennt ihn Ruben – „Seht ein Sohn!“ und fügt hinzu: „Der Herr hat mein Elend gesehen. Jetzt wird mein Mann mich lieben“ (Gen 29, 32). Der Name unterstreicht die Persönlichkeit, oft erinnert er an Begleitumstände bei der Geburt des Kindes. Der Name bedeutet auch Sendung und Schicksal: Die junge Frau bei Jesaja soll ihren Sohn Emmanuel – „Gott mit uns“ nennen. Aus Jakob wird Israel, der „Gottesstreiter“. Die Jungfrau Maria wird aufgefordert, ihr Kind Jesus – „Heilbringer“ zu nennen.
Die Kinder sind das absolute Eigentum des Vaters. Da die Söhne die Nachfolgerschaft ihres Vaters garantieren, genießen sie gewisse Privilegien. Das zeigt sich schon bei der Geburt eines Jungen, die mit großem Jubel begrüßt wird. Acht Tage danach erfolgt die Beschneidung als Zeichen des Bundes, den der Stammvater Abraham mit Gott geschlossen hatte. Die Geburt einer Tochter bedeutet, dass sie bei der Heirat in die Familie ihres Mannes weggehen und damit ihre eigene verlassen wird. Bei der Geburt eines Sohnes bleibt die Mutter für 40 Tage unrein. Bei einer Tochter sind es 80 Tage (Lev 12, 2–4). Für die Reinigung muss sie ein besonderes Opfer darbringen, wie es das Buch Levitikus vorschreibt: „Wenn die Zeit ihrer Reinigung vorüber ist, soll sie für einen Sohn, ebenso für eine Tochter, ein einjähriges Schaf als Brandopfer darbringen“ (Lev 12, 6–8). Maria, die Mutter Jesu, hält sich an die Vorschriften für weniger begüterte Leute, da sie die Mittel für ein Schaf nicht aufbringen kann. Sie opfert deshalb „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“ (Lk 2, 24). Die ersten Monate und Jahre im Leben eines Kindes. Die Mutter versorgt das neugeborene Kind mit größter Aufmerksamkeit. Es wird gebadet und mit Salz abgerieben, damit es stark und immun gegen alle bösen Einflüsse wird. Dann wickelt sie es in Windeln, wie es auch Maria im Stall von Betlehem getan hat (Lk 2, 7). Normalerweise stillt die Mutter ihr Kind selbst, was sich auf mehrere Monate, ja bis zu zwei oder drei Jahre hinziehen kann. Der Tag der Entwöhnung wird mit einem großen Festmahl begangen. Danach handelt auch Abraham, als Isaak herangewachsen ist und nicht mehr an die Brust seiner Mutter gelegt werden braucht (Gen 21, 8).
Nur die Liebe Gottes zum Menschenkind ist größer. Kinder unterstehen in den ersten fünf Jahren ganz der Obhut und Liebe ihrer Mutter. Nur die Liebe Gottes ist in der Lage, diese Zärtlichkeit zu übertreffen: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst, wenn sie ihn vergäße, ich vergesse dich nicht“ (Jes 49, 15). Die Erziehung der Knaben übernimmt ab ihrem sechsten Lebensjahr der Vater. Er unterweist sie im Gesetz und lässt sie im Lehrhaus der Synagoge (Beit Midrasch) eine religiöse Schulerziehung zuteil werden. Dabei lernen sie Lesen und Schreiben, damit sie die Heiligen Schriften studieren können. Mit 13 Jahren, zu Beginn der Pubertät, wird ein Junge für religiös mündig erklärt. Er wird zu einem „Bar Mizwa“, zu einem „Sohn des Gesetzes“ und ist damit den Geboten verpflichtet. Heranwachsende Söhne helfen ihrem Vater bei der Feldarbeit oder im Weinberg (Mt 21, 28f.; Lk 15, 29). Töchter bleiben bis zu ihrer Heirat mit ihrer Mutter im Haus, sie helfen ihr bei den alltäglichen Arbeiten und hüten die Herde (Gen 29, 9).