Abschluss der Serie zur „Schöpfungszeit“: Jede Familie bildet eine ganze Welt im Kleinen, voller Möglichkeiten und Konflikte
Ausgabe: 2006/40, Schöpfungszeit, Kain, Spaller, Neid, Abel, Brüder, Geschwisterkonflikt, Herkunftsfamilie, Bruderzwist, Familie, Bruder
05.10.2006 - Christina Spaller
Kain, Erstgeborener mit vielen Vorrechten, erschlägt den jüngeren Bruder. Das Motiv: Neid und das Gefühl, benachteiligt zu sein.
Welche Geschwisterposition hatten Sie in Ihrer Herkunftsfamilie? Waren Sie die Älteste oder die Jüngste, der Mittlere oder ein Einzelkind? Welche Vor- und Nachteile haben Sie aufgrund Ihrer Position erlebt? Wie sind Sie mit den erlebten Nachteilen umgegangen? Spielen diese in Ihrem Verhältnis zu Ihren Geschwistern heute noch eine Rolle? Eine Familie setzt sich zusammen aus verschiedenen Menschen, die unterschiedliche Familienpositionen einnehmen. Jede Familie bildet eine komplexe Welt im Kleinen. Verbunden und angewiesen aufeinander heißt es, das Familienleben je nach Möglichkeit miteinander zu gestalten. Die Möglichkeiten für ein sattes Familienleben sind gegeben. Schwierigkeiten ergeben sich z. B. aus erlebten Benachteiligungen. Das Gefühl, zurückgesetzt zu sein, während andere bevorzugt werden, mag zerstörende Wirkung zeigen. Auch weil die tatsächlichen eigenen Vorteile oft nicht mehr wahrgenommen werden. Und doch ist wohl den meisten Menschen die Sehnsucht nach einem friedvollen Familienleben bekannt. Doch in der Umsetzung gibt es häufig Schwierigkeiten. Die Verschiedenheit und die individuellen Erfahrungen der Mitglieder erschweren oft ein gutes Gemeinschaftsleben.
Stoff für ein Drama. Dies ist nun auch der Stoff, aus dem die mythische Erzählung des Bruderstreites von Kain und Abel gemacht ist. Zu Beginn bekommen die Ureltern zwei Söhne. Den Erstgeborenen nennt Eva Kain und leitet seinen Namen vom hebräischen Wort für „erwerben“ her. Der zweite heißt in aller Kürze Abel. Dieser Name ist zu übersetzen mit „Hauch“ oder „Nichts“. Der Text eröffnet mit einem Einblick in eine Kleinfamilie den Ausgangspunkt eines Familiendramas. Die Geschwisterrollen sind unterschiedlich verteilt. Die Position des Erstgeborenen ist eine besondere Position. Er wird das zukünftige Haupt der Familie sein, Verantwortung für diese tragen und zweimal soviel erben wie seine Geschwister. Doch trotz dieser Vorteile ist Kain neidisch auf Abel, weil GOTT dessen Opfer sieht und seines nicht. GOTT stellt Kain zur Rede, warnt ihn vor dem Dämon, der einflüsternden Stimme, die nichts Gutes verheißt und auf Rache sinnt. Kain wird nicht Herr über ihn. Der Dämon ist stärker und so ermordet Kain seinen jüngeren Bruder Abel. Dies liest sich als eine Tat gespeist aus Neid und dem Gefühl der Benachteiligung.
Was hast du getan? Im folgenden Gespräch mit Gott weist Kain die Frage „Wo ist dein Bruder?“ zurück mit der Gegenfrage „Bin ich der Hüter meines Bruders?“. Damit verneint er die Beziehungsverantwortung und das Angewiesensein aufeinander. Gott weist ihn zurecht und zeigt die Folgen der Tat auf. Kain erkennt sein Vergehen. Gegen die Angst, dass ihm Gleiches widerfahren könnte wie seinem Bruder, gibt GOTT ihm ein schützendes Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. Aber nach dieser Tat kann Kain nicht bleiben. Er muss weg von der Familie und vom Ackerboden, weil er die Möglichkeiten einer familiären Welt zerstört hat. Er zieht in ein Land östlich von Eden, nimmt sich eine Frau (im mythischen Denken ist das Vorhandensein dieser Frau kein Problem), wird Gründer einer Stadt und bedeutende Personen werden von ihm abstammen. Unter seinen Nachfolgern sind große Namen mit wichtigen Berufen, Macht und Gewalt werden eine Rolle spielen.
Doch die Geschichte ist nicht aus. Aus einem nur scheinbar banalen Moment der Nicht-Bewältigung von Neidgefühlen ent-wickelt sich ein Drama, das eine Kleinfamilie zerstört. Der jüngere Sohn ist ermordet, der ältere muss den Ackerboden verlassen. Doch die Geschichte geht weiter. Hoffnung wird sichtbar mit der Geburt eines dritten Sohnes, von dem Eva sagt, dass GOTT ihr den Set („Setzling“) für Abel gegeben hat. Set ist nicht der Stellvertreter für Kain, der seine Familienrechte verloren hat. Die eigentliche Linie der Ureltern wird die des Set sein, von dem es in Genesis 5,3 heißt, dass Set dem Adam ähnlich war, wie sein Abbild. Seine Linie führt über Noah, einem Gerechten vor GOTT, zu Abraham, den GOTT aus der Menschheitsgeschichte herausruft. Mit beiden wird GOTT einen Bund schließen und sich ihnen – und über sie allen Menschen – in besonderer Weise vertraut machen.