Ägypten: Sr. Juliana Baldinger über das zunehmend schwierigere Verhältnis zwischen Christen und Muslimen
Ausgabe: 2006/41, Nachbarschaft, Baldinger, El Berba, Ordensfrau, Meggenhofen, Ägypten
12.10.2006
- Josef Wallner
Sr. Juliana Baldinger in den Straßen von El Berba. Die Ordensfrau stammt aus Meggenhofen und war kürzlich in der Redaktion der KIZ zu Gast.
Neben all den Herausforderungen des Alltags gibt es in der katholisch-koptischen Pfarre von El Berba viel Hoffnungsvolles: eine 24-jährige Frau ist bei den Sionsschwestern eingetreten und hat in Alexandria ihr Noviziat begonnen, zwei weitere Frauen werden vermutlich folgen.
Foto: PAUL
Die Sionsschwester Juliana Baldinger lebt in El Berba, einem ägyptischen Dorf mit 8.000 Muslimen und 2.000 Christen. Sie erfährt hautnah, was es heißt, als Christin in einer islamischen Mehrheitsgesellschaft zu leben.
„Als ich vor zwölf Jahren nach El Berba gekommen bin, konnte man muslimische und christliche Mädchen nicht unterscheiden. Alle trugen die oberägyptische Bauerntracht. Nun sind die muslimischen Mädchen verschleiert“, sagt Sr. Juliana Baldinger. Einfacher und treffender kann man nicht beschreiben, was sich in ihrem Dorf – und in ganz Ägypten – in nur einem Jahrzehnt verändert hat: eine Hinwendung zum Islam verbunden mit einer beängstigenden Radikalsierung. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Das Verhältnis zwischen der christlichen Minderheit - 5,5 Prozent von 70 Millionen Einwohner - und der muslimischen Mehrheit wird deutlich gespannter. Dabei haben die ägyptischen Christen und Muslime dieselbe Kultur: Die Bräuche um Geburt, Hochzeit und Tod wurzeln in der gemeinsamen Geschichte der Pharaonenzeit. Doch das zählt immer weniger.
Moderne als Stolperstein. „Der Grund für dieses Auseinandertriften liegt in der Moderne“, analysiert Sr. Juliana. Unter Moderne versteht die Ordensfrau all das, was die Aufklärung in Europa gebracht hat: „Die Moderne zwingt zum Hinterfragen der eigenen Position und zur Übernahme von Eigenverantwortung“. Das ist den Muslimen in Ägypten völlig fremd: „Den Islam hinterfragt man nicht.“ Gleichzeitig wissen die Menschen in Ägypten um den Wohlstand, der mit der Moderne verbunden ist – ein Traum, der für sie unerreichbar bleibt: denn Gesundheitsversorgung und Jobchancen werden für die Masse der Jugendlichen immer schlechter. „Diese Perspektivenlosigkeit ist Grund für den Rückzug auf den radikalen Islam“, so Sr. Juliana. Doch der Rückzug ist nicht nur die Antwort der Muslime. Bei den koptischen Christen Ägyptens bemerkt sie – in der Struktur, nicht in den Inhalten – ein ähnliches Phänomen: eine starke Betonung der eigenen Identität.
Dialog des Alltags. Auch wenn es keine einfachen Antworten und gewiss keine schnellen Erfolge gibt: „Mein Leben in El Berba ist sinnvoll, weil die gute Nachbarschaft zwischen Christen und Muslimem enorm wichtig ist. Und dazu möchte ich beitragen.“ Fragt man nach Möglichkeiten des Dialogs mit dem Islam in El Berba, lächelt Sr. Juliana nur: „Einen Dialog über Glaubensfragen gibt es nicht, ja ist von Seiten der Muslime im Dorf undenkbar.“ Sie bezeichnet es selbst als wenig, es ist aber bedeutsam – „Den Alltag mit den Muslimen und Christen zu teilen, dazu bin ich da.“
Einladung
El Berba im InternetÜber das Leben und die Arbeit von Sr. Juliana Baldinger informiert eine Homepage, die Andreas Paul gestaltet hat. Unter www.sion.at ist auch das Engagement der Sionsschwestern in in Israel und Palästina dargestellt.
- Interessierte können zu Sr. Juliana Baldinger über E-Mail in Kontakt treten: ndsberba@gmx.at - www.sion.at