Bibel in „gerechter Sprache“: Warum wurde gerade so übersetzt?
Ausgabe: 2006/41
12.10.2006
Vergangene Woche wurde die als „Basisprojekt“ entstandene Bibelübersetzung „in gerechter Sprache“ vorgestellt. Wir bringen einige Beispiele, um das Anliegen dieser Bibelausgabe deutlich zu machen.
Bei der Übersetzung der Bibel wurde – neben der Berücksichtigung des aktuellen Standes der historisch-kritischen Exegese – vor allem auf vier Aspekte besonders geachtet: auf die Textgerechtigkeit, die soziale Gerechtigkeit, die Geschlechtergerechtigkeit und auf die Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog. Ein besonderes Problem war der in der jüdischen Bibel zwar geschriebene (JHWH), aber aus Ehrfurcht nicht ausgesprochene Eigenname Gottes. Man bemühte sich hier, die in der jüdischen Tradition verwendeten verehrenden Umschreibungen zu verwenden: Adonaj, „der/die Ewige“, „die Macht“, „der Name“, „Gott“, „der Lebendige“. Ein Glossar am Ende der Bibel gibt Auskunft über das Grundverständnis und über die Übersetzungsmöglichkeiten aller biblischen Zentralbegriffe.
Textgerecht.Matthäusevangelium 9, 20: Und seht eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutungen litt, näherte sich von hinten und berührte den Schaufaden an seinem Mantel.Zur Erklärung: Das griechische Wort krasbedon bezeichnet die (vier) Schaufäden, die jüdische Menschen an ihrem Gewand anbringen, um sich an Gottes Tora zu erinnern (Num 15, 38–41). Die Übersetzung „Schaufaden“ macht den selbstverständlichen Bezug der Evangelien zur jüdischen Lebensweise und die Tora-Orientierung Jesu deutlich. Dieser Bezug fehlt, wenn übersetzt wird, die Frau berührte den „Saum“ des Gewandes. Das Wort „Schaufaden“ stammt aus dem Sprachgebrauch deutschsprachiger jüdischer Menschen.
Geschlechtergerecht.Jesus Sirach 46,11: Auch die Richterinnen und Richter sind zu erwähnen, alle mit ihrem jeweiligen Namen; ihr Herz diente keinen anderen Göttern und sie wandten sich nicht von (JHWH) „der Ewigen“ ab … Erklärung zur Verwendung von „Richter-innen“: Die Prophetin Debora wird in Ri 4f als „Richterin“ namentlich benannt. Die rabbinische Auslegung diskutiert die Möglichkeit, dass Debora nicht die einzige Frau in der Rolle der Richterin gewesen ist. Levitikus 6, 7ff: Dies ist die Weisung für die pflanzliche Gabe, die die Nachkommen Aarons vor (JHWH)„Adonaj“ an der Vorderseite des Altars darbringen. Davon nimmt er eine Hand voll, vom feinen Mehl der pflanzlichen Gabe und von ihrem Öl und allem Weihrauch, der auf der pflanzlichen Gabe ist. Er lässt es auf dem Altar in Rauch aufgehen als einen beruhigenden Geruch, ein Gedenkteil für „Adonaj“. Den Rest davon essen Aaron und seine Söhne. Als Mazzen, d. h. ungesäuertes Brot, soll es an heiligem Ort gegessen werden. Alle Männlichen unter den Nachkommen Aarons sollen es essen. Erklärung: Während in heutiger Sprache Frauen ausdrücklich genannt werden müssen, wenn sie gemeint sind und sich angesprochen fühlen sollen (Liebe Wählerinnen und Wähler …), nennt die androzentrische biblische Sprache oft nur männliche Formen, obwohl vom Zusammenhang her auch Frauen gemeint sein müssen. In Lev 6, 11, wo wörtlich von „allem Männlichen unter den Söhnen Aarons“ die Rede ist, wird deutlich: dort, wo für gewöhnlich von den „Söhnen Aarons“ gesprochen wird, sind in der Regel alle Nachkommen (Frauen und Männer) gemeint. Geht es wirklich nur um die männlichen Kinder, wird das ausdrücklich hervorgehoben.
Zur Sache
Ich aber sage euch …
Für einige Diskussion in der neuen Bibelübersetzung in „gerechter Sprache“ wird die Übertragung der so genannten „Antithesen“ in der Bergpredigt sorgen. Matthäus 5, 21f lautet in der katholischen Einheitsübersetzung:Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein …
In der neuen Übersetzung lautet diese Stelle: Ihr habt gehört, dass Gott zu früheren Generationen sprach: Du sollst nicht töten (Ex 20, 13). Wer aber tötet, wird vor Gericht schuldig gelten. Ich lege euch das heute so aus: Wer das Leben der eigenen Geschwister im Zorn beschädigt, wird vor Gericht schuldig gelten.
Die in der christlichen Tradition so genannten „Antithesen“ der Bergpredigt („Ich aber sage euch …“) sind als Gegensatz zwischen dem Alten Testament/der Mosesgesetzgebung und der neuen Lehre Jesu, die sie überwindet, verstanden worden. Jesus wurde dabei christologisch als neuer Moses gedeutet, der das Gesetz beendet. Die neue Übersetzung („Ich lege euch das so aus …“) versucht deutlich zu machen, dass es um eine aktuelle Auslegung des Toralehrers Jesus geht, der Gottes Wort in der Schrift hört und in seine Zeit übersetzt. Das sechsmalige „Ich aber sage euch …“ in den „Antithesen“ bietet Schlüsselstellen für eine antijüdische Deutung Jesu, der etwas „Neues“ bringt. Die Sichtweise, dass es zwischen „Altem“ und „Neuem Bund“ so etwas wie einen Bruch gibt, widerspricht den Ergebnissen der Bibelwissenschaften und des christlich-jüdischen Dialogs. Heute bemüht man sich, deutlich zu machen, wie sehr Jesus in und aus der jüdischen Tradition gelebt und gelehrt hat.