Nach Bethlehem, zum neugeborenen Kind in der Krippe eilten auch viele Tiere. Flink und protzig, Haken schlagend sprang als Erster ein Hirsch zum Stall, gefolgt vom Pferd aus Natanaels Scheune. Ein Fuchs kroch aus seinem letzten Loch und roch, dass es im nahen Bethlehem was Gutes gäbe. Auch Müllers Esel bewegte sich, mühselig, aber doch. Tante Mias Katze und des Jägers Mayer flotter Hund verließen die warme Stube und sprangen zum Stall. Die Kunde, dass es in Bethlehem etwas Besonderes zu sehen gäbe, verbreitete sich unter allen Vögeln, und sie flogen, so schnell sie konnten. So trudelte alles mögliche Getier im Stall von Bethlehem ein: Hühner, Hamster, Heuschrecken und so weiter und so weiter. Als Letzte kam die Schnecke Baldrian. Niemand bemerkte sie. Alles schlief. „Bin ich wieder zu spät?“ fragte sie Vater Josef, der gerade Holz für das Feuer nachlegte. „Nein“, sagte er, „sieh, das Kind hat soeben erstmals die Augen aufgeschlagen.“ Und die Schnecke Baldrian hob ihre Fühler und Augen, ihr ganzes Haus. Sie sah das neugeborene Kind und die offenen Augen. Das Kind schaute die Schnecke lange an und lächelte. Und der Schnecke Baldrian war warm ums Herz.
Der Autor Christian Sint ist Gemeinschaftsverantwortlicher der Arche-Tirol, in deren Wohnhäusern Menschen mit und ohne Behinderung unter einem Dach zusammenleben. „Die Geschichte“, so Sint, „hat auch etwas – aber nicht nur – mit unseren Bewohnern zu tun. Heute zählen ja vielfach nur die etwas, die das rasche Tempo mithalten können. Aber es gibt auch eine andere Sichtweise, eine, die den ganzen Menschen im Blick hat. So wie er ist, ist er einmalig und wertvoll.“