Geboren wurde er im tiefen Amazonasgebiet, aber aufgewachsen ist er in den Niederlanden. Heute arbeitet Eduardo Tenhave als Guide für Touristen, die den Regenwald Brasiliens erleben möchten. Dazwischen liegen lange Jahre, in denen er das Leben der Einheimischen wieder von Grund auf erlernen musste.
Im Regenwald des Amazonas, unweit von Manaus im Nordwesten des Landes, sitzt eine Gruppe europäischer Tourist/innen um ein Lagerfeuer. Sie sollen die Nacht in Hängematten im Urwald verbringen, jedes fremde Geräusch im Unterholz ruft nervöse Blicke hervor. Nur der 25-jährige Touristenguide Eduardo sitzt seelenruhig in seiner Hängematte. Zur Ablenkung beginnt er, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Denn vor nicht allzu langer Zeit war ihm der Urwald genauso fremd wie den Europäer/innen.
Kindheit in den Niederlanden
Geboren wurde Eduardo in Maraã, einem Dorf etwa 600 Kilometer westlich von Manaus. Es ist eine arme Gegend, die zum Großteil von Indigenen bewohnt wird, die von Fischfang und Landwirtschaft zur Selbstversorgung leben. Seinen leiblichen Vater hat er nie kennengelernt, doch bald nach seiner Geburt heiratet seine Mutter einen niederländischen Missionar, der ihn wie seinen eigenen Sohn annimmt. Von ihm erhält er auch seinen für Brasilien ungewöhnlichen niederländischen Nachnamen Tenhave. Als er drei ist, zieht die Familie in die Niederlande. Dort wächst er auf wie jedes andere niederländische Kind auch, geht zur Schule und lernt die Sprache. Als Jugendlicher geht er skaten und versucht sich als Rapper.
Wendepunkt
Zu seinem 18. Geburtstag bekommt er von seinem Stiefvater ein Flugticket nach Brasilien geschenkt. „Er wollte, dass ich das Land, aus dem ich komme, kennenlerne“, erzählt Eduardo. In Maraã angekommen fühlt er sich wie ein Tourist, alles ist ihm fremd. „Aber zu diesem Zeitpunkt war es wie ein Abenteuer für mich.“ Doch dann erreicht ihn eine schreckliche Nachricht: Seine Mutter verunglückte bei einem Autounfall tödlich. Nach dem Begräbnis in den Niederlanden stürzt er in eine tiefe Sinnkrise, denn seine Mutter war das Einzige, das ihn mit seiner Herkunft verband. Gegen den Willen seines Stiefvaters fliegt er zurück nach Brasilien, diesmal auf unbestimmte Zeit, um mit den Verwandten seiner Mutter zu leben.
Kampf um Akzeptanz
Er verliebt sich und bekommt eine Tochter, doch die Eltern seiner Freundin sind gegen eine Heirat. „Sie sagten zu mir: ‚Du kannst nicht fischen, du kannst nicht jagen – wie sollst du eine Familie ernähren?‘ Also habe ich begonnen, all das zu lernen, was die Menschen hier schon als Kinder können.“ Der junge Mann lernt zu fischen und welche Pflanzen zu medizinischen Zwecken verwendet werden können. Um sich abzuhärten, trinkt er das schmutzige Wasser des Flusses, auch wenn es ihm einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt beschert. Fast schon stolz zeigt er die Narbe an seinem Arm, wo er bei seinem ersten Versuch, einen Kaiman zu fangen, gebissen wurde. Ein Zahn des Tieres hängt an seiner Halskette. Auch wenn er mittlerweile von der Mutter seiner Tochter getrennt ist, ist er dennoch froh, all diese Anstrengungen unternommen zu haben: „Nur so haben mich meine Verwandten endlich akzeptiert.“
Zukunftspläne
Seine Arbeit als Tourguide macht ihm Spaß. „Ich glaube, die Leute mögen mich, weil ich beide Seiten verstehe. Ich kenne das Leben im Dschungel mittlerweile, aber ich weiß noch genau, dass es anfangs für mich genauso fremd und unheimlich war wie für euch gerade“, sagt er zu der Runde ums Feuer. Besonders gerne erzählt er von seiner vierjährigen Tochter Eduarda Gabrielle, die bei ihrer Mutter in Maraã lebt. Es ist hart für ihn, sie wegen seiner Arbeit in Manaus nur selten sehen zu können. „Aber es ist mir lieber, sie dort in Sicherheit zu wissen, als hier in der Stadt. In Maraã kann sie ein viel unbeschwerteres Leben führen.“ Irgendwann möchte er sein Leben wieder völlig umkrempeln und mit Eduarda in die Niederlande ziehen, um ihr eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Aber erst in ein paar Jahren, denn zuerst soll sie das Leben am Amazonas kennenlernen. „Ich möchte nicht, dass es ihr einmal so geht wie mir und sie sich zwischen zwei völlig verschiedenen Welten gefangen fühlt.“