Warten. Nur warten, und nichts tun können. Für jene rund 100 Personen, die im Gmundner Gschliefgraben vor bald zwei Wochen ihre Häuser verlassen mussten, hat das Warten im Advent eine dramatische Bedeutung angenommen.
Still ist es geworden am Ostufer des Traunsees. Die Dunkelheit hat sich über See und Ufer gelegt. Noch tiefer scheint das Dunkel in den Fenstern der Häuser. Nicht einmal der Schein einer Adventkerze dringt durch die Scheiben – wie sonst um diese Zeit. Nur die Schläge des Hammerbohrers durchschneiden die Stille. Gebohrt wird nach Gewissheit – und vielleicht auch Hoffnung. Die Geologen versuchen, Aufschluss zu bekommen über das Ausmaß der Gefahr.
Zum Gottesdienst versammelt. Die Lichter der Stadt sieht man vom anderen Ufer. Am Stadtplatz ist wie in anderen Jahren auch eben der Nikolaus angekommen und verteilt seine Gaben. Später: Gegen halb sieben füllt sich die ehemalige Kapuzinerkirche. Sie liegt gleich am Eingang zur Straße zurück zum Gschliefgraben. Ein Gottesdienst soll an diesem Abend Trost und Kraft spenden. Neben den unmittelbar Betroffenen sind auch viele andere gekommen. „Wir sind auch betroffen von dem, was unsere Nachbarn trifft“, sagt eine Bewohnerin, die nur wenige hundert Meter außerhalb des Sperrgebietes daheim ist. „Du kannst Not und Unheil wenden“, heißt es im Eingangslied. Keine leere Floskel ist das an diesem Abend. Pfarrer Gerald Geyrhofer bringt sogar Dankbarkeit zum Ausdruck: Abseits der Sensationslust hätten viele Menschen Mitgefühl gezeigt und helfen wollen.
Nur die Teddys kamen mit. Der Schock ist manchen noch ins Gesicht geschrieben, als es spät abends hieß, sie müssten die Häuser verlassen. Eine Frau hat in der Panik nicht gewusst, was sie mitnehmen sollte – und hat die zwei Teddybären der Kinder genommen – sonst nichts. „Christus, meine Zuversicht! Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht“, heißt es im Lied am Ende des Gottesdienstes. Der Text geht nahe. Aber schafft man das jetzt?
Kein böses Wort. Nach der Messe findet in der Feuerwehrzentrale ein Informationsabend statt. Gespannt warten die Leute, was die Experten über den Stand ihrer Arbeit sagen würden. Alles mündet in einem Appell: Warten! Bitte um Geduld. „Wirklich seriös kann man erst in einer Woche Auskunft geben. Die Zeit brauchen wir zum Messen und Rechnen“, sagen die Experten. In Häusern, die sich bewegen, kann, ja darf man nicht wohnen. Es fällt schwer, aber die Zuhörenden verstehen es. Sie sind froh, dass ehrlich geredet wird. Kein einziges böses Wort fällt im Raum. Niemand erhebt einen Vorwurf. Fragen sind da. Die bedrängendsten bleiben unausgesprochen: Vielleicht kommt der Hang jetzt zum Stehen. Aber was ist in zehn Jahren? Auch Dankbarkeit wird zum Ausdruck gebracht, denen gegenüber, die alles versuchen, um Gewissheit zu bringen – und vor allem den Baggerfahrern. Genau dort, wo die Erde ins Rutschen kam, haben sie gearbeitet. „Da war es lebensgefährlich“, sagt Bürgermeister Heinz Köppl. Den Anblick des toten Dachses, dem der rutschende Hang den Weg ins Freie abgeschnitten hat, bringt er nicht aus dem Kopf. Es hätten Menschen sein können.
Jemandem zur Last fallen ist schwer. Eine Woche warten. Gefasst nehmen die Leute die Botschaft auf. Die Hälfte der Leute ist in zwei Gasthöfen in der Nähe untergebracht, die anderen bei Verwandten und Bekannten. Jemandem auf Grund der eigenen Not zur Last fallen zu müssen, ist nicht angenehm. Wer wird es bezahlen? „Diese Sorgen braucht ihr euch nicht machen“, versichert der Bürgermeister. Auch das gilt es auszuhalten, es gehört zum Warten. Kurt Stohl sitzt mit seiner Frau im Raum, hört sich alles an. Kurz bevor der Hang ins Rutschen kam, hat er ein Kaufangebot für sein Haus ausgeschlagen. Jetzt würde er nichts mehr dafür bekommen. Er würde es auch heute nicht hergeben. Hier hat er sein ganzes Leben gelebt, hier sind ihre Kinder groß geworden. Hier möchte er mit seiner Frau leben. Nächsten Freitag soll Auskunft gegeben werden. Kommt am Ende die Frohbotschaft? Selbstverständlich ist nichts.