Religionen sind beheimatet in der modernen Welt – und stehen ihr trotzdem kritisch gegenüber. Zum achten Mal fand das „Linzer Religionsgespräch“ statt.
Religion kehrt an die Öffentlichkeit zurück – und gleicht Schieflagen der kapitalistischen Wirtschaft aus. So formuliert der Linzer Theologe Dr. Ansgar Kreutzer das Verhältnis von Religion und moderner Gesellschaft. Am 12. Februar fand an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz das achte Linzer Religionsgespräch statt. Was betroffen macht: Die „Dialogveranstaltung“ lockte nur zwei Dutzend Leute in die Hochschule – das Thema bewegt die Öffentlichkeit wohl eher bei negativen Ereignissen. Wenn es stimmt, dass die weltoffene Strömung des reformierten Flügels die weitaus größte innerhalb des Judentums ist, und wenn auch der Islam in seinen breiten Strömungen einen neuen Weg geht, dann darf man sich von Religionen Impulse für die moderne Gesellschaft erwarten. Mouhanad Khorchide bildet muslimische Religionslehrkräfte aus. Er will, dass diese den Koran nicht fundamentalistisch lesen, sondern auf die heutige Welt hin deuten lernen. Wie die anderen Religionen wolle der Islam, dass in der modernen Gesellschaft der Mensch im Mittelpunkt steht – und nicht etwa die Wirtschaft. Menschenrechte und Frauenrechte wären auch dem Islam wichtig. Eine bloß wörtliche Auslegung des Koran entspreche nicht seinem Sinn. Wie auch die Bibel müsse er auf die heutige Zeit hin ausgelegt werden. Dann hätte er Kraft, gemeinsam mit den anderen Religionen dem Werteverfall in der europäischen Moderne etwas entgegenzusetzen. Religionen – so war man sich beim Religionsgespräch einig – nehmen auch die Schattenseiten der Moderne in den Blick: den Hunger in der Welt, das Unrecht gebenüber Schwachen, die Benachteiligung von Frauen.
Achtung der Menschenrechte. Freie Wahlen, freie Meinungsäußerung, unabhängige Medien, Toleranz den Fremden gegenüber. Das sind für den jüdischen Arzt Dr. Theodor Much Eckpfeiler der modernen Gesellschaft. Das reformierte Judentum stehe zu diesen Grundrechten. Den gemeinsamen Beitrag der Religionen sieht er in einer Art „Reparatur der Welt“. Ohne selbst Politik zu betreiben, müssten Religionen auf eine gerechtere Welt hinarbeiten. Für den katholischen Theologen Dr. Ansgar Kreutzer hat die katholische Kirche die Öffnung zur Welt im Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen. Der Glaubensakt könne nur in Freiheit geschehen. Daher das klare Bekenntnis zur Religionsfreiheit!
Genügsames Leben. Für den Buddhisten Dr. Thero Seelawansa ist Religion ein „Vehikel“ zur Überwindung der menschlichen Verwirrungen. Hohe Bedeutung kommt im Buddhismus dem persönlichen Weg eines einfachen und genügsamen Lebens zu. Jeder Mensch solle das in seiner Religion verwirklichen.
Wörtlich
Theodor Much: „Ein religiös gelebtes Judentum muss nicht im Widerspruch zur modernen Gesellschaft stehen. Religion darf nicht als Vorwand für Machtinteressen missbraucht werden.“
Thero Seelawansa: „Weil die Menschen gierig sind, haben sie viele Dinge verloren. Wir müssen die Einfachheit und die Genügsamkeit üben und die leiderzeugenden Eigenschaften überwinden.“
Ansgar Kreutzer: „Religionen können von der Gesellschaft die Wertschätzung der Freiheit lernen, sie mahnen aber auch vor der Überschätzung menschlicher Freiheit.“
Mouhanad Khorchide: „Es gibt einen Werteverfall in der europäischen Moderne, bei dem der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht. Religion bringt eine spirituelle und ethische Grundlage für das moderne Leben ein.“