Ein leerer Magen – und niemand zum Reden. Sr. Tarcisia öffnet im Vinzenzstüberl täglich für ihre Gäste von der Straße die Pforte – und lernt von ihnen.
Es ist kurz nach zwölf Uhr. Im Vinzenzstüberl der Barmherzigen Schwestern ist alles vorbereitet für die Gäste, die schon vor der Tür stehen. Sr. Tarcisia nennt ihre Besucher/innen so – und wartet mit dem Laptop bereits auf sie. Dann wird die Tür geöffnet. In kleinen Gruppen treten die Gäste ein. Jeder muss nachweisen, dass er oder sie sozial bedürftig ist, und wird registriert. Anders wird Sr. Tarcisia dem großen Andrang nicht gerecht. Um 50 Cent können hier alle essen.
Einsamkeit
An die 180 Personen kommen täglich und nutzen das vielfältige Angebot im Vinzenzstüberl. Die größte Not sieht Sr. Tarcisia nicht im Materiellen: „Es ist das Gefühl, nirgends dazuzugehören. Keine Wohnung, keinen fixen Schlafplatz zu haben, aus allem herauszufallen, sich jeden Tag wieder etwas suchen zu müssen. Dazu kommt die Einsamkeit, das Gefühl, alleinegelassen zu werden. Die Leute suchen hier auch soziale Kontakte, wollen plaudern und Karten spielen“, erzählt die engagierte Ordensfrau. Sie ist fast rund um die Uhr für ihre Gäste da und hat heuer den Solidaritätspreis der KirchenZeitung bekommen. Mit einem Team aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen kümmert sie sich um alle, die hier hereinkommen: Obdachlose, Alkoholkranke, Drogensüchtige, Punks, ältere Menschen, Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge. Auch Kleidung und die Möglichkeit, sich zu duschen, gibt es hier. Die Frisörin wird gerne frequentiert, medizinische Betreuung angeboten.
Von Kürzungen betroffen
Im Jahr 2015 waren 38 % der Gäste Österreicher/innen, 750 Neuzugänge gab es, insgesamt wurden 1553 Personen im Vinzenzstüberl gezählt. Heuer nutzten im ersten Halbjahr bereits über 1206 Gäste das Angebot, 17.356 Mittagessen wurden ausgeteilt. Die Kürzung der Mindestsicherung hat unmittelbare Auswirkungen, stellt Sr. Tarcisia in der täglichen Arbeit fest. Die Sozialeinrichtungen müssen das auffangen, was an Kürzungen vom Land Oberösterreich beschlossen wurde. „Der Zustrom an Asylberechtigten ist größer geworden." Viele suchen Arbeit, sie wollen gar kein Geld, berichtet Sr. Tarcisia.
Wie wenig man braucht
Sr. Tarcisia ist immer wieder beeindruckt von ihren Gästen: zum einen, wie wenig sie brauchen, um leben zu können – und zum anderen, wie groß der Zusammenhalt unter ihnen ist. „Jeder schnorrt den anderen an – und jeder hilft“, erzählt sie. Obwohl jeder selbst kaum genug zum Leben hat, wird der Kollege, den man von der Straße kennt, eingeladen, wenn sein Geldbörsl leer ist. Auch 50 Cent sind manchmal nicht aufzubringen. „Gestern waren fünf Leute da, die hatten kein Geld mehr und nichts im Magen“, ist auch Mitarbeiterin Sandra Schmidt betroffen, wie hart das Leben am Rande ist. Verlust der Arbeit, Wohnung, Verlust der Heimat – und plötzlich ist alles anders. Eines ist den Menschen, die ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Familie leben, klar: „Ohne Solidarität werden wir nicht überleben.“ Da geht es nicht nur ums Gernhaben, sagt Sr. Tarcisia: Solidarität, Zusammenhalt, füreinander Einstehen sind hier ein (Über-)Lebensprinzip. So sieht Sr. Tarcisia das Vinzenzstüberl auch als ihr tägliches Lernfeld. „Wir können viel von diesen Menschen lernen“, ist sie überzeugt – und die Gäste aus aller Welt können hier ihre Krautroulade verspeisen oder das Schnitzerl genießen – und spüren, dass sie nicht alleine sind.
Sachspenden für Obdachlose
Sr. Tarcisia vom Vinzenzstüberl für Obdachlose in Linz bittet um Spenden von Toiletteartikel. Diese können Montag bis Freitag zwischen 13 und 17 Uhr in der Herrenstraße 39 abgegeben werden (Tel. 0732/76 77-49 89).