Götz Spielmann hat mit „Revanche“ einen großartigen Film geschaffen
Ausgabe: 2008/21, Götz Spielmann, Revanche, Film, Verlass die Stadt, Markus Vorauer, Film, Filmkritik, würdevolles Altern, Großvater
21.05.2008
- Markus Vorauer
Die Wasseroberfläche eines Teiches, auf der sich die Bäume des Waldes spiegeln. Stille. Die idyllische Naturansicht wird jäh unterbrochen durch einen Gegenstand, der in den Teich geworfen wird und die glatte Oberfläche in Bewegung versetzt. Die Wellen deformieren die reflektierten Bäume. So beginnt Götz Spielmanns neuer Film „Revanche“.
Zwei Paare und ein alter Mann stehen im Mittelpunkt von „Revanche“. Alex (Johannes Krisch) und Tamara (Irina Potapenko) arbeiten im Rotlichtmilieu in Wien. Sie ist Prostituierte, er Chauffeur des Bordellbesitzers, der von Hanno Pöschl auf beängstigende Art und Weise, ständig zwischen Liebenswürdigkeit und Sadismus wechselnd, verkörpert wird. Die Welt der Prostitution skizziert Spielmann als Milieu der entfesselten Ökonomie, in dem Menschen nur noch über den Geld-Wert definiert werden. Alex und Tamara wollen diesem Leben entfliehen. Ein Banküberfall soll ihnen das dazu nötige Geld verschaffen. Die Aktion scheint nach Plan zu verlaufen, doch ein Polizist (Andreas Lust) überrascht sie und schießt dem Fluchtfahrzeug nach. Seine Kugel tötet Tamara. Alex fährt aufs Land und lässt sie in einer Lichtung in einem Wald zurück, bevor er bei seinem Großvater (Hannes Thanheiser) auf dessen verlassenem Bauernhof untertaucht. Von nun an besteht sein Leben nur noch aus Arbeit, Schmerz, Trauer und Hass auf denjenigen, der für den Tod Tamaras verantwortlich ist. „Gefühle stehen nicht im Widerspruch zu gedanklicher Klarheit und formaler Präzision.“ Mit diesem Statement hat Götz Spielmann die Philosophie seines neuen Films perfekt auf den Punkt gebracht, denn wie in der Folge die Geschichte des Polizisten und dessen Frau (Ursula Strauss), die in der Nähe des Bauernhauses in einem schmucken Einfamilienhaus wohnen, mit jener von Alex und dessen Großvater verzahnt wird, das hat in seiner formalen, aber auch dramaturgischen Konzeption in der aktuellen österreichischen Filmlandschaft keine Konkurrenz. Hier wird niemand ausgestellt, kein vordergründiger Effekt gesucht, sondern vielmehr ein erzählerischer Weg, der sich konsequent einem heiklen Themenkomplex stellt, der mit Schuld, Sühne und Vergebung umrissen werden könnte.
Von Verzweiflung genährt. Die Handlungsweisen der Figuren (mit Ausnahme des Großvaters) werden allesamt von Verzweiflung genährt: das Abgleiten in die Prostitution (Tamara), der Job im Bordell nach einem Gefängnisaufenthalt (Alex), der Banküberfall, um dem Milieu zu entkommen, der Schuss des Polizisten, um dem aktionslosen Berufsalltag endlich einen höheren Sinn zu geben, die Annäherung der einsamen Ehefrau des Polizisten (vielleicht auch aus Berechnung, wie sich am Ende herausstellt) an Alex, um dem kleinbürgerlichen Alltag etwas Esprit zu verleihen. Schließlich die obsessive Observierung des Polizisten, die zum Lebensinhalt von Alex wird und die Spielmann und der wie immer kongeniale Kameramann Martin Gschlacht fast in hitchcockscher Manier inszenieren.
Würdevolles Altern. Schließlich ist „Revanche“ aber auch ein Film über würdevolles Altern, über ein Leben in Identität mit der Umwelt, wie die Figur des Großvaters nachdrücklich belegt. Das Leben auf dem Land verändert Alex nach und nach. In der Spieglung mit der kalten Welt des Rotlichtmilieus der nächtlichen Stadt mit ihrem künstlichen Licht erscheint das ländliche Ambiente wie eine Befreiung, ohne aber in einer kitschigen Postkartenidylle präsentiert zu werden. „Bevor die Glut in dir erlischt, verlass die Stadt, die keine ist“, heißt es in einem neuen Song von Gustav, und es scheint so, als würde über die Begegnung mit dem Großvater und über den Wert der manuellen Arbeit in Alex wieder etwas erwachen, was schon verschüttet war, eine Lebensbejahung, die in scharfem Kontrast zum zerstörerischen Selbstmitleid steht, das auch ein Motor zur Rache ist. Gegen Ende begegnen sich Alex und Robert, der Polizist, an jenem Teich. Ein Gegenstand wird geworfen. Schon diese Sequenz für sich lohnt diesen großartigen Film.