Für die einen ist es bereits eine Kirchenspaltung, für die anderen die „schwerste Krise seit der Reformation“. Ob die derzeit tagende Lambeth-Konferenz Brücken über die tiefen Gräben in der anglikanischen Kirche schlagen kann, ist mehr als ungewiss.
Wo sich normalerweise Studenten tummeln, findet derzeit eine der brisantesten Kirchenkonferenzen statt. Auf dem Canterbury Campus der University of Kent beraten auf der sogenannten Lambeth-Konferenz die Bischöfe der anglikanischen Welt über die Zukunft ihrer Kirche. Eigentlich steht das Thema „Mission“ auf der vom 16. Juli bis 3. August tagenden Konferenz. Das Ehrenoberhaupt der anglikanischen Kirche, Erzbischof Rowan Williams, will daran auch festhalten. Er räumte allerdings ein, dass genügend Zeit bestehe, auch über die schweren Differenzen in der anglikanischen Kirchengemeinschaft zu reden.
Paukenschlag. Ende Juni trafen sich in Jerusalem rund 1000 Vertreter/innen, darunter 291 Bischöfe, der von Afrika angeführten konservativen Teilkirchen zur sogenannten „Globalen Anglikanischen Zukunftskonferenz“ (GAFCON). Dabei wurde „angesichts des beharrlichen Abweichens liberaler Kirchenführer von der rechten Lehre“ der Aufbau eigener Kirchenstrukturen für traditionell eingestellte Anglikaner beschlossen. Ein sechsköpfiger Bischofsrat wurde als Beschlussgremium installiert. Damit bildete GAFCON eine „Kirche in der Kirche“, meinen Kritiker und sprechen von einer Kirchenspaltung. Der nigerianische Erzbischof Peter Akinola sieht in den Jerusalemer Beschlüssen eine „pastorale Notwendigkeit“, weil man nicht zusehen dürfe, wie Millionen Menschen vom wahren Glauben, wie er in der Heiligen Schrift geoffenbart sei, weggeführt würden.
Stein des Anstoßes. Die konservativen und teilweise evangelikal geprägten Teile der anglikanischen Kirche stoßen sich vor allem an jenen Kirchen, die bekennende Homosexuelle weihen, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zulassen oder für die Frauenordination eintreten. „Das“, so Reverend Dorothee Hahn, „sind die Auslöser für die Kirchenkrise“ – vor allem seit der Weihe (2003) des Homosexuellen Gene Robinson zum Bischof von Hampshire (USA). Die tieferliegende Kontroverse aber schwelt schon länger. Es geht dabei um das anglikanische Kirchenverständnis. „Unsere Kirche lässt ihren regionalen Teilkirchen eine große Freiheit, was die Lehre (Doktrin) und die Strukturen betrifft. Manchen geht dies zu weit. Von da her stellt sich die Frage, wer definiert, was in Sachen des Glaubens, der Moral etc. gültig ist, und wer hat die Macht, dies auch anderen Teilkirchen vorzuschreiben. Zugespitzt geht es darum, dass die Konservativen so etwas wie einen anglikanischen Vatikan und Papst haben wollen, während die anderen die Kirchenverfassung hochhalten, wie sie sich seit der Reformation entwickelt hat“, meint Hahn.
Grundpfeiler. Im Chicago-Lambeth-Gradual (1886) hat die anglikanische Kirche vier Grundpfeiler als gemeinsame Grundlage festgehalten: Die Schriften des Alten und des Neuen Testaments; die Sakramente der Taufe und des Abendmahls (mindestens), die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und die (Apostolische) Sukzession für die Weitergabe des Bischofsamtes. Ein wichtiges Band der Einheit ist auch die Verbindung zur „Kirche von England“ und zu ihrem geistlichen Oberhaupt, dem Erzbischof von Canterbury. Es sei daher völlig unanglikanisch, wenn heute konservative Kirchen aus Afrika den Kirchen in den USA oder Kanada die Altargemeinschaft verweigern und ihnen das Anglikanischsein absprechen, betont Hahn. „Nach unserem Verständnis von Kirchengemeinschaft steht ihnen das nicht zu. Ebenso wenig wie der geplante Aufbau von kirchlichen Parallelstrukturen in den liberalen Kirchenprovinzen.“ Ob die Lambeth-Konferenz einen Ausweg findet? Dorothee Hahn ist skeptisch, zumal viele afrikanische Bischöfe die Konferenz boykottieren. Eine Lösung gebe es nur, „wenn sich alle auf eine tiefgehende Diskussion über unser Kirchesein und unser Autoritätsverständnis einlassen“. Die alle zehn Jahre tagende Lambeth-Konferenz sei zwar ein wichtiges Instrument der Einheit, aber sie „ist keine Synode, die verbindlich für alle etwas beschließen kann. Ihre bisherige Kraft bestand in Konsenslösungen, die möglichst viele Bischöfe mittragen konnten.“ Ob das wieder gelingt, sei fraglich, meint Hahn.
ZUR SACHE
Die anglikanische Kirche entstand zur Zeit der Reformation. 1533 brach König Heinrich VIII. mit dem Papst. In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst weitgehend bei der katholischen Lehre; erst später gewannen protestantische Einflüsse an Bedeutung. Derzeit gibt es rund 77 Millionen Anglikaner in 26 Kirchenprovinzen. Mit 30 bis 40 Millionen Mitgliedern hat die Bedeutung der Kirchen in den ehemaligen Kolonialgebieten deutlich zugenommen. Durch die Mission im 19. Jahrhundert sind sie konservativer geprägt als die Kirchen in Europa und Nordamerika.