2000 Jahre Paulus: Persönliche Briefe an den Völkerapostel (2)
Ausgabe: 2009/26, Juden, Griechen, Paulus, 2000 Jahre, Völkerapostel, persönliche Briefe, Dr. Klaus Heidegger, Saulus, Paulus, Friedensarbeit, Multikulti-Stadt, Tarsus, Volders
24.06.2009 - Dr. Klaus Heidegger, Religionslehrer
Die Damaskus-Erfahrung des Saulus-Paulus aus der Reihe \"Farbholzschnitte zur Bibel\" von Thomas Zacharias.
Lieber Saulus!
Meine Anrede dürfte dich schon etwas verwundern, schreibe ich dir doch als europäischer Christ aus dem „Abendland“, in dem du üblicherweise als Paulus angesprochen wirst. Selbst im Unterricht – ich bin Religionslehrer an einem Oberstufengymnasium – beginne ich bei der Themeneinführung über dich gerne mit der Frage: „Was wisst ihr denn über den Apostel Saulus?“ Die Schülerinnen glauben zunächst, ich hätte mich versprochen, und manch einer antwortet: „Meinen Sie nicht den Apostel Paulus?“ „Ist es der, der vom Saulus zum Paulus wurde?“
Der Jude. Und schon bin ich mitten im Thema, kann beginnen von dir zu erzählen, deinem Jude-Sein, das so typisch für dich war; wie du aufgewachsen bist in Tarsus in einer Diasporagemeinde außerhalb Israels, benannt nach einem der ganz Großen des Judentums (König Saul), als Pharisäer gebildet in Jerusalem, wie du dich zugleich mit den jüdischen Erneuerungsgedanken des Jeschua und seiner Nachfolger Stephanus, Mirjam, Simon, Jakobus und wie sie alle hießen auseinander gesetzt hast. Als Jude und Pharisäer hast du gespürt und gewusst, was sich dann im Damaskuserlebnis kristallisierte: Ja, dieser Zimmermann aus Nazareth – von Beruf ein Pharisäer und Handwerker wie du – zeigt uns, wie das Reich Gottes funktionieren könnte, wie das Volk Jahwes sich in einer enormen Unterdrückungssituation neu bilden könnte, wovon auch die Propheten immer schon träumten. Mit Blick auf eine schreckliche antisemitische und antijüdische Vergangenheit – mit ewiggestrigen Resten in der Gegenwart – ist es mir im Umfeld von Schule und Bildungsarbeit wichtig, von einem Schwarz-Weiß-Denken, hier der christenverfolgende, böse Saulus, da der bekehrte gute Paulus, wegzukommen. Je mehr ich deine Briefe lese, desto deutlicher wird mir, dass das, was als „Bekehrung des Saulus“ bezeichnet wird, oft sehr missverständlich dahingehend gedeutet wird, dass du dich vom Judentum abgewandt hättest. Für mich ist deine „Erleuchtung“ so etwas wie ein Vordringen in die Tiefen deines Glaubens, vor allem in seine prophetische und messianische Tradition.
Der Verbindende. Ich bin dir, Saulus-Paulus, so dankbar für die morgenländischen jesuanisch-jüdischen Werte, die in unserem Abendland oft von Leistungsfixierung, Konkurrenz, Gier, Konsumismus, Gewaltverherrlichung, Gottlosigkeit, Egoismus ... verdrängt werden. Du, Saulus-Paulus, stehst mit deinem Doppelnamen, deinen großartigen Briefen und deinem Leben für das Verbindende zwischen den Kulturen und Religionen; konkret für die Verbindung von Orient und Okzident, die sich im Laufe der Jahrhunderte so oft in Krieg und Feindschaft gegenüber standen – eine Feindschaft, die auch heute wieder neu instrumentalisiert wird. Du, Saulus, bist ein Anwalt dafür, das Jüdische an unserem Christlichsein nicht zu vergessen, denn es ist – wie du selbst geschrieben hast – unser Rebstock und unsere Wurzel. Weil du selbst in der Multikulti-Stadt Tarsus aufgewachsen bist, als Jude inmitten von Griechen und Römern, selbst Römer und Jude, wurdest du zum Völkerverbinder. Und und ließest deine Erfahrungen – keine schöne Theorie nur – in dem Satz Gestalt werden „es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr ... denn ihr seid alle eins ...“. Von diesem Geist der Akzeptanz und Toleranz, des Dialogs mit den anderen und der Freude über die Verschiedenheit möge unser Europa gestaltet werden.
Dein „Saulus-Schüler“ Klaus
Briefe an Paulus
Dr. Klaus Heidegger ist Religionslehrer am privaten Oberstufen-Realgymnasium St. Karl in Volders und seit vielen Jahren in der Friedensarbeit engagiert.