2000 Jahre Paulus: Persönliche Briefe an den Völkerapostel (6)
Ausgabe: 2009/30, Briefe, Paulus, Markus Öhler, Wien, Serie
22.07.2009 - ao. Univ.-Prof. Dr. Markus Öhler
Die Briefe des Paulus sind keine „einfache Kost“. Der evangelische Theologe Markus Öhler befasst sich mit ihnen seit dreißig Jahren und hat immer noch An-Fragen. Foto: KIZ/A.
Markus, evangelischer Theologe, an Paulus, Apostel und Bruder. Gnade sei mit Dir und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!Lieber Paulus, ich lese Deine Briefe nun schon seit ungefähr 30 Jahren und noch immer gibt es einiges, was ich nicht verstehe. Darf ich Dich damit behelligen?
Du und das Gesetz. Besonders unklar ist mir Deine Beurteilung des jüdischen Gesetzes, das doch eine Gabe Gottes an Israel ist. Weißt Du, wir sind nach der Katastrophe des Holocaust recht sensibel geworden für alles, was mit dem Judentum zusammenhängt. Solche Sätze wie in Deinem Brief an die Thessalonicher – „Die Judäer hassen alle Menschen“ – hatten nämlich ganz schlimme Folgen, und ich bin froh, dass Du im Römerbrief viel positiver über Dein Volk geschrieben hast. Mit der Verheißung, dass „ganz Israel gerettet wird“ (Röm 11, 26), hast Du Deine Sicht doch verändert, zum Guten, wie ich meine. Übrigens: Dein Schlagwort von den „Werken des Gesetzes“, die nicht zur Gerechtigkeit führen, verstehen viele heute so, dass es dabei (nur) um die Identitätsmerkmale des Judentums wie Beschneidung, Speisegesetze usw. geht. Hast Du das tatsächlich in diesem Sinn gemeint? Oder stimmt doch die Auslegung Luthers, dass die Einhaltung des Gesetzes nicht ausreicht, weil sich der Mensch die Gerechtigkeit vor Gott nicht aus seinen guten Taten erwerben kann?
Deine „Theologie“. Vielleicht sind wir ja aber auch grundsätzlich auf dem falschen Dampfer und Du hast Deine Briefe gar nicht so systematisch angelegt. Wenn ich den Thessalonicherbrief mit dem Brief an die römische Gemeinde vergleiche, fällt mir auf, dass da ganz andere Themen behandelt werden. Von Rechtfertigung oder Gesetz findet sich im Thessalonicherbrief nichts. Und die Bedeutung des Kreuzes, die Dir im ersten Brief nach Korinth so wichtig war, taucht im Römerbrief nicht auf. Hast Du manche Themen einfach nur eine Zeitlang für wichtig gehalten? Und wie erklärst Du mir eigentlich die scharfen Worte über das Gesetz im Galaterbrief – das Gesetz sei nur ein „Zuchtmeister auf Christus hin“ (Gal 3, 24) – und die positiven Aussagen dazu im Römerbrief – „So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut“ (Röm 7, 12)? Bist Du da zu einer besseren Einsicht gekommen oder hast Du ohnehin immer dasselbe gemeint?
Deine Leben. Deine Biographie finde ich sehr spannend, besonders wie Du Deine jüdische Herkunft und Deine hellenistische Prägung miteinander zu vereinbaren versuchst. Diese Verbindung zweier Kulturen zu schaffen, ist in unserer Gesellschaft auch bei vielen Menschen, die als Migranten oder Migrantinnen zu uns kommen, wichtig.
Dein Umgang. Deine bösen Worte über Gegner werfen allerdings manchmal kein gutes Licht auf Dich. Sie Hunde zu nennen (Phil 3, 2) oder ihnen die Kastration zu wünschen (Phil 3, 2; Gal 5, 12), also wirklich. Ich weiß schon, dass es damals eine andere Zeit war und es für Dich ja auch um ganz wichtige Themen ging, aber wir sehen das heute entspannter – mehr als Dialog auf der Suche nach Wahrheit. Auch manche Deiner ethischen Urteile – etwa zur Homosexualität oder zur Stellung von Frauen gegenüber Männern – sind in heutigem Licht besehen nicht haltbar, obwohl ich Dir auf jeden Fall darin zustimme, an der geschwisterliche Liebe als dem höchsten Gebot festzuhalten.
Deine Provokation. Besonders bewundere ich Deine Hingabe für Deine Berufung. Was Du alles auf Dich genommen hast bei Deinen Reisen, bei den Gefängnisaufenthalten, ja bis zum Tod! Hier bei uns klagen wir schon, wenn wir am Sonntag nicht ausschlafen können, weil die Kirche schon so früh beginnt. Da bist Du im positiven Sinn eine Provokation.
Das war nur wenig von dem, was mich so bewegt, wenn ich Deine Briefe lese. Bei aller Kritik bin ich doch, das hast Du hoffentlich bemerkt, ein großer Fan von Dir.
Es grüßt Dich, Dein Markus
Briefe an Paulus
ao. Univ.-Prof. Dr. Markus Öhler lehrt am Institut für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.