In einer vierteiligen Reihe behandelt der Theologe und Sozialethiker Severin Renoldner zentrale Aussagen der neuen Enzyklika von Papst Benedikt. Im ersten Teil geht es um die „gerechte Entwicklung“.
Die neue Sozialenzyklika schließt inhaltlich an die 1967 von Papst Paul VI. verfasste Enzyklika „Populorum Progressio“ zur Frage der weltweiten Entwicklung und zur notwendigen gerechteren Güterverteilung und Entwicklungspolitik an. Sie ist eher sozialphilosophisch formuliert und behandelt den Schwerpunkt der internationalen Entwicklung.
Die Kernfrage. Benedikt XVI. bezeichnet die Enzyklika „Populorum Progressio“ als die neue „Rerum Novarum“ (das ist jene 1891 von Papst Leo XIII. verfasste Enzyklika, die quasi der Ur-Text bzw. die „Mutter“ der modernen Soziallehre der Kirche darstellt). D. h. Benedikt bezeichnet die Entwicklung und weltweite Gerechtigkeit als die Kernfrage der Sozialethik. Alle Christinnen und Christen müssen sich hier mehr anstrengen und die reichen Länder haben eine Bringschuld an die Armen, die weit über das hinausgeht, was wir heute an Entwicklungsförderung leisten.
Ganzheitliche Entwicklung. Papst Benedikt weiß, dass Entwicklung nicht bedeutet, alle Länder müssten nach dem Modell Westeuropas durchformt werden. Gegenüber einer allzu technischen Sicht von Entwicklung betont Benedikt, „... hat man oft gemeint, die Schaffung von Institutionen genüge, um der Menschheit die Erfüllung ihres Rechtes auf Entwicklung zu gewährleisten. Leider hat man in solche Institutionen ein übertriebenes Vertrauen gesetzt ...“, das nicht genüge. Entwicklung muss der menschlichen Person ganzheitlich, also auch in ihrer transzendenten Sicht, gerecht werden. (Nr. 11)
Eine Pflicht. Dazu bedarf es umfangreicher politischer Weichenstellungen, die dazu führen, dass Hunger, Armut, Mangel an Wasserversorgung und medizinischer Hilfe in einem Rahmenprogramm weltweit wirksam und völlig beseitigt werden. Das ist die moralische Pflicht einer an Gütern so reich gewordenen Zivilisation. Dies nicht zu tun ist eine schwere Schuld.
Gebet und Hunger. Es sei, so der Papst, gefährlich, „... den gesamten Entwicklungsprozess allein der Technik zu überlassen, denn auf diese Weise würde ihm die Orientierung fehlen.“ (14) Die heutige Welt braucht eine grundlegende, sozial ausgerichtete Orientierung. Die Soziallehre der Kirche ist Glaubensverkündigung und Glaubenszeugnis. Sie ist Instrument und unverzichtbarer Ort der Erziehung zum Glauben. Der Papst gibt hier der sozialen Verkündigung einen zentralen Stellenwert in der Verkündigung der Kirche. Sie muss mehr in den Gottesdienst und in das Leben der Gemeinden hineinwirken. Wie können wir beten, wenn uns der Hunger und die Not nicht bedrücken?
Ein Gesamtplan. Die internationale Hilfe müsse, so der Papst, im Rahmen eines solidarischen Plans zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme die Festigung der Verfassungs-, Rechts- und Verwaltungssysteme in den Ländern, die sich dieser Güter noch nicht vollkommen erfreuen, fördern. Es gehe demnach auch um eine politische Entwicklung hin zu verlässlichen Rechtsstaaten, sowie um einen weltweiten Plan einer umfassenden – natürlich weit umfangreicheren und von den reichen Ländern finanzierten – Gesamtplan zur globalen Entwicklungspolitik.
Übereinstimmung. Damit liegt Benedikt XVI. mit den Forderungen der Entwicklungsorganisationen gleichauf, die in Europa und den USA eine Erhöhung auf 0,7% des Bruttoinlandsproduktes fordern. Er stimmt auch mit der Idee eines Global Marshall Planes, also einer weltweit konzertierten Großaktion zur effektiven Beseitigung der absoluten Armut, überein.
Caritas in Veritate
Dr. Severin Renoldner leitet das Sozialreferat der Diözese Linz. Er ist Mitglied der Kommission „Iustitia et Pax“ und der Europakommission der Österr. Bischofskonferenz.