Eine Wirtschaft, die nicht dem Wohl der Menschen dient, dient zu nichts. Und eine Politik, die der Wirtschaft keine verbindlichen Regeln zur Entwicklung einer menschlichen Gesellschaft auferlegt, wird ihrem Auftrag nicht gerecht.
Benedikt XVI. interpretiert die „neoliberale“ Wirtschaftsgläubigkeit unserer Zeit als grundlegendes Missverständnis über das Wesen und die Natur des Menschen. Dieser habe seine Würde von Gott erhalten und sei von Natur aus als Gemeinschaftswesen angelegt, das immer auch für die anderen da ist und alle anderen gleich wie sich selbst achten und respektieren müsse. Unser ganzer Reichtum, unsere Produktionsmittel, Rohstoffe, die Technologie und der wirtschaftliche Erfolg sind Gottes Geschenk an die Menschen und dürfen nicht automatisch nur zum eigenen Nutzen beansprucht werden, schreibt der Papst.
Gier der Spekulanten. Die Enzyklika betont die Dringlichkeit von weltweiten Wirtschafts-Reformen, als eine Lehre aus der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Der Papst setzt sich dabei kritisch mit dem modernen Finanzkapitalismus und einer, wie er sagt, „auf Gier ausgerichteten“ Spekulationsmentalität, die sich im Finanzsektor mehr und mehr durchgesetzt hat, auseinander, die Schuld an der Wirtschaftskrise trägt. „Der Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner Eigenschaft als Mittel einem Zweck zugeordnet ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung ebenso wie der seiner Verwendung einen Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht das Allgemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen.“ (21) Die weltweite Ungerechtigkeit ist die große Sünde unserer Zeit, und alle Christ/innen müssen sofort und ohne Furcht dagegen arbeiten. Absolut gesehen, nimmt der weltweite Reichtum zu, doch die Ungleichheiten vergrößern sich.“ Benedikt spricht vom „Skandal schreiender Ungerechtigkeit“.
Kritik an Sozialabbau. Kritisch geht der Papst mit der wirtschaftlichen Deregulierung, dem Abbau sozialer Sicherheit und einer nur auf Gewinnmaximierung für wenige Anleger ausgerichteten Wirtschaft und Politik ins Gericht. So „... hat der Markt neue Formen des Wettstreits unter den Staaten angeregt, die darauf abzielen, mit verschiedenen Mitteln – darunter günstige Steuersätze und die Deregulierung der Arbeitswelt – Produktionszentren ausländischer Unternehmen anzuziehen. Diese Prozesse haben dazu geführt, dass die Suche nach größeren Wettbewerbsvorteilen auf dem Weltmarkt mit einer Reduzierung der Netze der sozialen Sicherheit bezahlt wurde, was die Rechte der Arbeiter, die fundamentalen Menschenrechte und die in den traditionellen Formen des Sozialstaates verwirklichte Solidarität in ernste Gefahr bringt. Die Systeme der sozialen Sicherheit können die Fähigkeit verlieren, ihre Aufgabe zu erfüllen, und zwar nicht nur in den armen Ländern, sondern auch in den Schwellenländern und in den seit langem entwickelten Ländern. Hier kann die Haushaltspolitik mit Streichungen in den Sozialausgaben, die häufig auch von den internationalen Finanzinstituten angeregt werden, die Bürger machtlos neuen und alten Gefahren aussetzen; diese Machtlosigkeit wird durch das Fehlen eines wirksamen Schutzes durch die Arbeitnehmervereinigungen noch erhöht.“ (25)
Der Mensch ist das Ziel. Dieser Neoliberalismus habe nicht nur wirtschaftlich (in Form der Finanzkrise), sondern auch moralisch abgedankt: weil er auf einem falschen, unmenschlichen Verständnis von Mensch und Welt aufbaue. Der Mensch soll nicht der Wirtschaft dienen, sondern die Wirtschaft allen Menschen. „Allen, besonders den Regierenden, die damit beschäftigt sind, den Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen der Welt ein erneuertes Profil zu geben, möchte ich in Erinnerung rufen, dass das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft.“ (25) Benedikt warnt die reichen Länder, dass mangelnde Entwicklungshilfe und ungerechte Aufteilung der Ressourcen auch ihren Frieden gefährdet.
Caritas in Veritate
Dr. Severin Renoldner leitet das Sozialreferat der Diözese Linz. Er ist Mitglied der Kommission „Iustitia et Pax“ und der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.