Eine Rettung im letzten Augenblick: Das Areal, wo die beiden Kapuziner-Missionare Antonin Schröcksnadel und Theophil Ruderstaller begraben waren, wird im Frühjahr verbaut. Das Ehepaar Gensch konnte die Gebeine exhumieren lassen und so ein greifbares Andenken an die China-Martyrer erhalten.
Eingepackt in dicke Anoraks stehen Gisela und Gunther Gensch an der Rückseite des neu erbauten Museums von Fujin und blicken gebannt auf den Bagger, der Grube um Grube aushebt. In ihrer Begleitung der Bauamtsleiter der Stadt, eine Reihe von Arbeitern mit Schaufeln und an die achtzig Einheimische, die Rosenkranz beten. Diese bunt zusammengewürfelte Schar hat ein Ziel: Sie sucht die zwei Särge jener beiden Kapuzinermissionare, die am 10. Juni 1946 von kommunistischen Gardisten erschossen wurden. Die Sache ist in China mehr als 60 Jahren nach den Ereignissen bis heute delikat. Obwohl jeder weiß, was geschehen ist, gibt es eine eigene Sprachregelung: Unbekannte Täter haben aus unbekannten Gründen zwei Europäer erschossen. Da der Stadtregierung des heute 415.000 Einwohner zählenden Fujin aber dieses unangenehme Kapitel ihrer Geschichte aus Welt schaffen will, verhält sie sich überaus kooperativ.
Gegen das Vergessen. Das Ehepaar Gensch ist gekommen, um mit Zustimmung der Verwandten und des Ordens die Gebeine der Kapuziner zu bergen. Die Stadt Fujin liegt am Ende der Welt im äußersten Nordosten Chinas an der russischen Grenze. Auch für China-erfahrene Personen wie Gisela und Gunther Gensch ein Abenteuer. Doch es fügte sich Zufall an Zufall – oder Wunder an Wunder – seit sie 2007 erstmals nach Fujin kamen. Die Leichname der Kapuziner wurden 1946 hinter dem Pfarrhaus begraben, dann wucherten mehr als sechs Jahrezehnte Gestrüpp und Dornen an der Stätte ihrer Beisetzung. Bis sich das Ehepaar Gensch aufgrund eines Berichts in der Kirchenzeitung auf Spurensuche begab und als erste Europäer nach 61 Jahren an der Stelle beteten, wo die Glaubenszeugen beigesetzt waren. Die ehemalige Kapuzinerkirche diente als Düngemittellager, das angrenzende Klostergebäude war dem Verfall preisgegeben, bis plötzlich eine unvorhergesehene Wende eintrat.
Aus Kirche wird Museum. Die Stadt Fujin renovierte das Kirchengebäude, das auch als kommunistische Parteizentrale diente und deshalb unter Denkmalsschutz steht. Das Kloster samt Kirchturm wurde wieder aufgebaut, um in den beiden Gebäuden ein Museum für die Geschichte der Stadt einzurichten. Während das Ehepaar Gensch nach ihren ersten Besuch überlegte, wie sie den Kapuzinermartyrern eine würdige Grabstätte geben könnten, war plötzlich rasches Handeln notwendig. Das Museum ist bereits eröffnet und im Frühjahr 2010 wird das Areal, auf dem sich die Gräber befinden, bebaut. Da eine Übertragung der Gebeine in eine Kirche nicht erlaubt ist und im heutigen China Friedhöfe unbekannt sind, blieb als einzige Möglichkeit zu versuchen die Gebeine nach Österreich zu holen – oder sie wären für immer verloren.
Gefunden. Am 23. November 2009 war es soweit – nach zwei Tagen des Suchens und einer wegen des gefrorenen Bodens gebrochenen Baggerschaufel. Ein großes Stück Holz kam plötzlich in dem schwarzen Erdloch zum Vorschein. Arbeiter kletterten in die Grube und konnten zwei Särge freilegen. Ein chinesischer Priester, der das Ehepaar Gensch begleitete, hielt vor den Särgen eine Totenfeier. „Solch eine Versammlung ist doch sonst in der Öffentlichkeit verboten, schoss es mir durch den Kopf“, erzählt Gisela Gensch: „Es ist ein Wunder geschehen. Die Polizisten in Zivil standen zwar unter den betenden Leuten, griffen aber nicht ein.“ Nur ein leeres Polizeiauto verriet ihre Anwesenheit. Vor den ausländischen Gästen, die noch dazu mit einem Schreiben der österreichischen Botschaft ausgestattet waren, drückte man wohl ein Auge zu. Zur Überraschung von Gisela Gensch hatten sich an die achtzig Christen eingefunden, sogar Kinder – obwohl es nach Auskunft eines Priesters der Nachbarstadt in Fujin nur mehr ganz wenige, sehr alte Katholiken geben soll. China ist immer für Überraschungen gut. So haben die Gebeine die Reise nach Innsbruck angetreten, wo sie beigesetzt werden. Wenn in China sich aber die Zeiten ändern, könnte des durchaus sein, dass die Christen von Fujin um Reliquien jener Priester bitten, die ihnen – unter Einsatz ihres Lebens – den Glauben gebracht haben.
Zur Sache
Getötet und doch nicht ausgelöscht
Der Pfingstmontag 1946 war das Ende der erfolgreichen Missionsarbeit der Nordtiroler Kapuziner in Fujin, einer Stadt im Nordosten Chinas. Bewaffnete kommunistische Garden erschossen kurzerhand zwei Kapuziner und verletzten einen schwer, der dann fliehen konnte. P. Theophil Ruderstaller aus Ostermiething und der Tiroler P. Antonin Schröcksnadel wurden bei ihrem Pfarrhaus in Fujin begraben. Bis 2004 hörten die Kapuziner nichts mehr von ihrer Mission in China, als ein Brief eines Untergrundbischofs eintraf, der von einer jungen Christengemeinde an den Gräbern der Märtyrer-Kapuziner sprach. Nachprüfen konnte die Nachricht niemand. Im Mai 2007 machten sich die Wahloberösterreicher Gisela und Gunther Gensch auf den Weg in die ehemalige Mandschurei, nach Fujin. Eine Christenge-meinde entdeckten sie nicht, aber die Stätte zeigte man ihnen, wo die beiden Kapuziner begraben worden waren. (Die KIZ berichte ausführlich im Juni 2007). Kurzzeitig dachte man an die Renovierung der noch bestehenden Kirche. Doch dieser Plan erwies sich als nicht durchführbar, da die Kirchen in China trotz mancher Öffnung noch immer stark eingeschränkt sind. Bevor die Gräber durch Neubauten auf dem Areal endgültig zerstört werden, wurden die Gebeine im November 2009 exhumiert. Die feierliche Beisetzung ist für den 16. Jänner 2010 im Kapuzinerkloster Innsbruck geplant.