In der Überfülle der Reize braucht der Mensch Pausen, Serie: Teil 1 von 5
Ausgabe: 2010/02, Kraft aus der Stille, Peter Dyckhoff, Überfülle, Pausen, Gegenbewegung, Ruhegebet, Gebete, Mönchsväter
13.01.2010 - Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff
Mit dem Ruhegebet stellt Pfarrer Peter Dyckhoff einen Weg vor, der hilft, über die Begrenztheiten des Alltags hinaus von den wirklichen, unerschöpflichen Kraftquellen zu erfahren. Die Gebetsweise geht auf frühchristliche Mönchsväter zurück.
Alle Dinge sind rastlos tätig, kein Mensch kann alles ausdrücken, nie wird ein Auge satt, wenn es beobachtet, nie wird ein Ohr vom Hören voll (Kohelet 1, 8). Um wie viel mehr ist es daher not-wendig, dass der Mensch Pausen einlegt, in denen er die Erfahrung der Stille macht. Bei der enormen Reizüberflutung, der wir ständig ausgesetzt sind, muss zur Ruhe der Nacht eine weitere, geistige Erfahrung der Stille hinzukommen, damit wir nicht krank werden. Abgesehen von den vielen Fernsehprogrammen, die ein- oder auszuschalten in unserer Hand liegt, muss ich mich gezwungenermaßen vielen visuellen und akustischen Reizen aussetzen. So läuft zum Beispiel bei meinem Zahnarzt ununterbrochen in allen Räumen das Radio, sodass ich oftmals Fragen während der Behandlung nicht richtig verstehen kann. Supermärkte verstehen es, in ständig laufende Musikprogramme ihre Werbung einzustreuen, Drogeriemärkte zeigen lautstark sich immer wiederholende Videos. Und selbst in einigen Kirchen, in denen ich eigentlich Stille suche, erlebe ich geistliche Musik von CDs, die ganztägig oder vor Gottesdiensten spielt. Ob dadurch die leise Sprache Gottes hörbar wird, möchte ich bezweifeln.
Gegenbewegung. Es gibt jedoch auch – und das gerade verstärkt in letzter Zeit – eine Gegenbewegung. Nicht nur privat oder von kirchlicher Seite werden Räume der Stille geschaffen, sondern auch bei anderen öffentlichen Einrichtungen. So stellt zum Beispiel die Polizei in Köln ihren Mitarbeitenden einen Raum der Stille zur Verfügung, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich von Einsätzen und dramatischen Eindrücken zu erholen und neue Kraft zu schöpfen. Räume der Stille finden sich bereits auf vielen Flughäfen rund um die Welt, auch in Einkaufszentren oder vielen in Kur- und Erholungseinrichtungen.
Befreit vom Zuviel. Es muss Zeiten der Stille und des Schweigens geben, in denen wir uns von allem Sichtbaren und Hörbaren lösen und uns dem „Unsichtbaren“ zuwenden. Wenn wir unser Leben entsprechend einrichten, werden wir von dem Zuviel und der damit verbundenen Dunkelheit befreit, sodass uns das Licht, Christus, einleuchten kann.
Zurückziehen. Sooft ich unter vielen Menschen weilte, war ich beim Heimgehen weniger Mensch, schreibt der stoische Philosoph Seneca. Machen wir nicht auch dieselbe Erfahrung nach langen Unterhaltungen? Wir sollten lieber schweigen als zu viel reden, denn es ist nicht einfach, beim Reden das rechte Maß zu finden. Möchten wir, dass unsere Innerlichkeit schneller zur Entfaltung kommt und wir mehr aus unserer Mitte leben, so ist es ratsam, sich immer wieder in die Stille zurückzuziehen. Dies kann zum Beispiel eingeübt werden durch eine einfache alte christliche Gebetsweise, die sich „Ruhegebet“ nennt. Wenn Jesus immer wieder in die Einsamkeit ging, um im Gebet mit seinem himmlischen Vater allein zu sein, um wie viel mehr haben wir es nötig, das Eine, die Stille, immer wieder dem Vielen vorzuziehen?
- Nur der kann sicher in der Öffentlichkeit auftreten, der auch gern im Verborgenen bleibt und die Stille liebt. - Nur der ist sicher im Sprechen, der auch gern schweigt. - Nur der kann sichere Entscheidungen treffen, der in sich ruht und einen weiten Blick hat. - Nur der kann sich wahrhaft freuen, dessen Leben äußerlich und innerlich geordnet ist.
- Literaturtipp Peter Dyckhoff, Ruhegebet. Don-Bosco-Verlag, München 2009, 10,30 Euro Peter Dyckhof, Ruhegebet. Einübung in eine alte christliche Gebetsweise. Sechsteiliger Glaubenskurs auf DVD. Bibel-TV, Wandalenweg 26, D-20097 Hamburg. (Derzeit jeden Sonntag um 9.15 Uhr auf Bibel-TV zu sehen)
Zur Person
Peter Dyckhoff (geb. 1937) studierte zunächst Psychologie und war 12 Jahre Inhaber und Geschäftsführer eines mittelständischen Industriebetriebes. In einer schweren persönlichen und beruflichen Krise lernte er das „Ruhegebet“ kennen, sanierte seinen Betrieb und begann mit 40 Jahren Theologie zu studieren. 1981 wurde er in Brixen zum Priester geweiht. Er war als Wallfahrts- und Krankenhausseelsorger in Kevelaer tätig, sodann Gemeindepfarrer und Spiritual in Hildesheim. Gründung und Leitung des bischöflichen Bildungshauses „Haus Cassian“ (Weserbergland). Anschließend intensive Kurs-, Vortrags- und Exerzitienarbeit. Autor zahlreicher Bücher zur christlichen Gebets- und Meditationspraxis; Schwerpunkt: Das Ruhegebet nach Cassian.