Marterl, Bildstöcke und Kapellen haben eine lange Tradition. Sie laden zum Verweilen, Nachdenken und zum Gebet ein. Der „Paulusort“ vor dem neuen Seniorenzentrum der Stadt Linz in Pichling zeigt, dass es für einen solchen Gedenkort auch im 21. Jahrhundert neue, überzeugende Gestaltungsformen gibt, die zum Nachdenken anregen.
Der Paulusort besteht aus einer Glastafel, auf der Fotografien und ein Text gedruckt sind. Für die Gestaltung des „Paulusortes“, der mit dem Pfarrpatron eine Anbindung an St. Paul in Pichling schafft, lobte die Pfarre gemeinsam mit dem Kunstreferat der Diözese einen geladenen Wettbewerb aus. Dem Linzer Fotokünstler Paul Kranzler, dessen Fotoarbeiten derzeit auch bei der Triennale 1.0 in der Linzer Landesgalerie zu sehen sind, gelang es, die Jury von seiner außergewöhnlichen Idee zu überzeugen. Pfarrer Werner Grad dazu: „Es braucht eine moderne Form, die unserer Zeit entspricht, die Menschen auch neben der Straße, wo Kapellen und Bildstöcke ihren charakteristischen Ort haben, anstößt, nachzudenken, ohne diesen gleich allzu bekannte kirchliche Motive überzustülpen.“ Kranzler bringt die Wandlung des Saulus zum Paulus, seine Gefängnisaufenthalte und seinen ersten Brief an die Korinther mit einer realen Lebensgeschichte des 21. Jahrhunderts in Verbindung. Der Satz „Liebe bringt die Kraft zur Vergebung“ wird dabei zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Für die Gestaltung des „Paulusortes“ stieß Paul Kranzler in seinem Fotoarchiv auf Bilder, die den so schnell dahingesagten Satz des Paulus auf den Prüfstand stellen.
Die Glastafel ist in drei unterschiedliche Bildsequenzen unterteilt, die jeweils einen Mann lebensgroß in Rückenansicht zeigen. Es sind die Bilder eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mannes, den Paul Kranzler am Tag vor seiner vorzeitigen Freilassung im Gefängnis fotografisch begleitet hat. Der Künstler zeigt ihn, von der Kamera abgewandt, bei alltäglichen Handlungen, etwa in seiner Zelle sitzend oder in der Gefängniskapelle stehend. Auffallend sind dabei auch die Gesten seiner Hände. Diese Motive überträgt er zusammen mit dem von Paulus verfassten Hohelied der Liebe (1 Kor 13,13) mittels Siebdrucktechnik in Schwarz-Weiß auf die Glasplatte. Die Aussage des in Deutsch und in der griechischen Originalversion gedruckten Textes: „Liebe bringt die Kraft zur Vergebung“, wird in Verbindung mit dem Motiv des Schuldbeladenen zur Bestandsprobe der Liebe.
„Liebe und Verzeihung im Sinne unseres christlichen Glaubens braucht jeder Mensch, ob er in die Kirche geht oder nicht. Mit dem Motiv wird das Verzeihen der Gesellschaft mit dem Verzeihen, das Liebe bewirkt, zum Thema gemacht“, so Pfarrer Werner Grad. Mit dem Paulusort setzt Paul Kranzler die Kraft der Bilder in der Sprache der Gegenwart ein. Die Fotografien des uns den Rücken zukehrenden Mannes illustrieren nicht, sondern lassen die Brisanz und Aktualität des Paulustextes erst in ihrer wahren Dimension erahnen.