Am 19. September wird John Henry Newman seliggesprochen
Ausgabe: 2010/37, John Henry Newman, Bildung der ganzen Person, Kirchenvater, Moderne, Dr. Roman Siebenrock, Philosoph, Entfaltung der Persönlichkeit, Bildung, Orientierung, Serie,
15.09.2010 - Dr. Roman Siebenrock
Bildung war John Henry Newman zeit seines Lebens ein wichtiges Anliegen. Dabei ging es ihm um eine umfassende Entfaltung der Persönlichkeit. Gerade deshalb muss Bildung über das bloß Nützliche hinausgehen – eine aktuelle Botschaft.
Hochaktuell sind die Vorstellungen, die Newman in seinen Bildungsanstrengungen geleitet haben. Die moderne Wissensgesellschaft mit ihrer Orientierung am Nutzen und größtmöglicher Effizienz blieb in England nicht ohne Folge für die Universität. Als der Teenager Newman nach Oxford kam, entscheidet sich seine Universität für die klassische Ausbildung, Edinburgh und London hingegen für die wirtschaftliche Nützlichkeit der Universität – ohne Theologie. Newman wollte in seiner Bildungsarbeit stets „Minis–ter“ (Diener und Priester) sein: Verantwortung für „Seelen“ übernehmen. Nach Newman ist Bildung ein Prozess, in dem Personen in Freiheit zu einer umfassenden Befähigung ihrer intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten angeregt und begleitet werden.
Bildung als Selbstzweck. Seine Vorlesungen als Präsident der katholischen Universität in Dublin sind heute höchst aktuell. Er misstraut der Orientierung am Marktnutzen und lehnt bloße Wissensvermehrung ab. Die Universität ist kein Supermarkt, in dem beliebige Inhalte abgeholt werden können. Bildung, in der der Mensch sich seines Wissens und seiner geistigen Vermögen stellt, muss vielmehr Selbstzweck, ein Wert für sich, sein. Da das Wissen wie die Wirklichkeit ein Ganzes bildet, darf kein Wissensbereich ausgelassen werden, um nicht die Integrität eines Teiles zu gefährden. Deshalb ist Theologie an einer Universität notwendig. Fehlt diese, dann treiben die anderen Wissenschaften „Theologie“ – als Chemiker, Physiker oder Neurowissenschafter. Metaphysische Fragen lassen sich nicht betäuben. Sie müssen in kritischer Korrektur aller Wissensbereiche angegangen werden.
Orientierung. Sein Bildungsideal sah Newman im „Gentleman“ verkörpert. Doch dieser ist den Giganten der menschlichen Leidenschaften wie Hass, Neid und Ehrgeiz machtlos ausgeliefert. Wissenschaft bessert den Menschen nicht und mit Bildung ist noch nie eine Gesellschaft zusammengehalten worden. Daher bedarf es einer ethischen und transzendenten Orientierung. Hier sah er die Aufgabe der Kirche, die aus ihrer langen Erfahrung schöpfen kann. Diese Aufgabe ist aber nur verwirklichbar, wenn Freiheit und Vertrauen die Universitätskultur bestimmen. Weil Newman das in Dublin nicht als gegeben sah, legte er sein Amt als Präsident nieder.
Entwicklung. Bildung ist aber auch eine Aufgabe in der Entwicklung des Glaubens. Alle Getauften sollten ihren Glauben, ihren Katechismus kennen. Sie sollten aber auch lernen, moderne Entwicklungen und die Kritiken der Zeit einzuschätzen und ihren Verstand zu benutzen. Für Newman war die Theorie von Charles Darwin wohl deshalb nie ein Problem, weil für ihn die Entwicklung Prinzip des Lebens war. Schon Jahre vor Darwins Evolutionslehre hat er die statische Natur-Theologie von William Paley (1743–1805), die bis heute im „Intelligent Design“ lebendig ist, kritisiert. (Nach Paleys „Uhrmacher-Analogie“ muss jeder lebende Organismus, dessen Körperteile ebenso zweckmäßig zusammenwirken wie die Teile der Uhr, einen intelligenten Schöpfer, einen Designer haben, der ein für alle Mal das „Modell“ festgelgt hat – Anm. d. Red.)
Eine Lernende. Newman hat auch die Kirche als eine „Bildungsgemeinschaft“ gesehen, eine Sich-Entwickelnde und Lernende. Gewiss lebt sie zuerst aus dem Gehorsam gegenüber Gottes Wort im Evangelium und im Gewissen. Sie lebt aber vor allem aus der wechselseitigen Anerkennung und Ermutigung von Laien und Priestern, die gegenüber jeglicher Wahrheit offen sind und angstfrei ihren Verstand gebrauchen lernen. Deshalb trat er für eine Kirche ein, in der die einzelnen Aufgaben und Sendungen nicht in Konkurrenz zueinander treten, sondern sich wechselseitig ermutigen sollen. Für ihn gibt es kein Amt in der Kirche ohne Zustimmung der Glaubenden; und es gibt keine Glaubensgemeinschaft ohne das Hören auf das bischöfliche Amt, das auf der apostolischen Tradition basiert.
Newman im Zitat
Wie der Philosoph ein Meister der Gedanken, so ist der wahre Staatsbürger und Gentleman ein Meister der beruflichen und persönlichen Lebenshaltung. Wenn also dem Universitätsstudium ein praktisches Ziel gesteckt werden muss, so ist es die Heranbildung würdiger Glieder der Gesellschaft. Seine praktische Anwendung ist die rechte Lebensführung in der Gemeinschaft, sein Ziel die Eignung für die Welt.
Ich wünsche mir Laien, die ihre Religion kennen, die sich auf sie einlassen, die ihren eigenen Standpunkt kennen und vertreten und die ihr Glaubensbekenntnis so gut kennen, dass sie darüber Rechenschaft ablegen können. Ich wünsche mir intelligente, gut ausgebildete Laien.
So sollte das Herz eines jeden Christen die katholische Kirche in Miniatur (im Kleinen) darstellen, weil ein und derselbe Geist die ganze Kirche und jedes ihrer Glieder zu seinem Tempel macht. Wie er die Kirche eint, die, sich selbst überlassen, in viele Parteien zerfiele, so eint er auch die Seelen, trotz ihrer vielfältigen Neigungen und Fähigkeiten und ihrer widersprüchlichen Ziele.