Wie geht es den Christen im Nahen Osten? Was kann getan werden, um ihnen in ihrer bedrängten Lage beizustehen? Darüber berät eine Sondersynode der Bischöfe vom 10. bis 24. Oktober in Rom. Dietmar Winkler stellt die Kirchen und ihre Lage in verschiedenen Ländern vor. Zum Beginn der Irak.
Das hatte ich jetzt nicht so erwartet: Als wir in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Nordirak landen, erwartet uns ein kleiner, aber feiner und moderner Flughafen. Die Passkontrolle ist unkompliziert und die Grenzpolizei empfängt uns mit einem „Welcome in Kurdistan!“Auf der Autofahrt quer durch den Nordirak Richtung Iran bis nach Sulaymaniah, der kurdischen Millionenstadt, sehen wir beste Autobahn, LKW mit Gütern aller Art, links und rechts reiche Bautätigkeit. Ein prosperierender Irak, der im Schutz des kurdischen Nordens die Möglichkeit hat, sich wirtschaftlich und politisch zu entwickeln. Aber außerhalb dieser Zone wird es schwierig.
Gemeinsame Sorgen. Auf Einladung des chaldäischen Erzbischofs von Kirkuk, Louis Sako, veranstaltete die von Kardinal König gegründete Stiftung Pro Oriente im Mai unter meiner Leitung im Irak ein Studienseminar zur Situation der Christen. Der Hintergrund ist die von Papst Benedikt XVI. einberufene Sondersynode für den Nahen Osten. Es war Erzbischof Sako, der diese Idee an den Papst herangetragen hatte. Da die Synode nur die katholischen Bischöfe der Region versammeln wird, wollten wir die drängenden Themen gemeinsam mit Bischöfen unserer orthodoxen Schwesterkirchen beraten. So sollten sie wenigstens indirekt eine Stimme bei der Synode haben. In den Gesprächen ging es u. a. um Auswanderung, Bildung, Beziehungen zum Islam und zum jeweiligen Staat.
Verlust. Insgesamt haben die Kirchen – ob katholisch oder orthodox – als Minderheiten die Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen. Das größte Problem ist wohl die anhaltende Auswanderung auf Grund der ökonomisch und politisch unsicheren Lage. Im Norden Kurdistans fühlt man sich ungefährdet. Als wir mit Erzbischof Sako aber nach Kirkuk fahren, verlassen wir den inneren Sicherheitsgürtel Kurdistans. Wiederholt passieren wir militärische Checkpoints, bis wir endlich die Flammen der Ölfelder des Zentrums der irakischen Erdölindustrie sehen. „Die Lage der Christen im Irak ist tragisch, denn sie sind häufig Opfer von Gewalt und verlassen deshalb ihr Heimatland“ erklärt Erzbischof Sako. „Aber sie sind die ältesten Bewohner des Landes und prägten die Kultur schon lange vor der Ankunft des Islam. Ihr Weggehen ist daher nicht nur ein Verlust für die christlichen Gemeinden, sondern für die Gesellschaft.“
Beim Imam. Der Sitz von Erzbischof Sako ist eine kleine Oase in Kirkuk, jedoch müssen Betonpoller und Militär die Kirche schützen. Schräg gegenüber ist eine Moschee, die ebenso von Sicherheitskräften bewacht wird. Der Erzbischof nimmt uns mit zu einem Besuch bei Imam Ahmed, der uns herzlich empfängt. Sako hat beste Beziehungen zum Islam und ist von den Muslimen hochgeachtet.
Der Terror. Es ist vor allem der fundamentalistische, meist wahabitische Islam, der die Christen bedrängt. Dies erfahren wir später in den umliegenden Dörfern Mosuls vom syrisch-katholischen Erzbischof Casmoussa. Im Mai waren bei einem Bombenattentat auf einen mit christlichen Studenten besetzten Buskonvoi nahe Mosul vier Studierende getötet und über 160 zum Teil schwer verletzt worden. „Die irakische Regierung und die Sicherheitskräfte sind aber nicht in der Lage, die Christen vor militanten Islamisten zu beschützen, die uns aus dem Land vertreiben wollen“, analysiert Casmoussa. Aber die Situation im Irak ist keineswegs eindimensional: Während die Lage der Christen vielerorts beklemmend ist, kehrt in christliche Dörfer in „Kurdistan“ die Hoffnung zurück.
Kirchen im Irak
Das Christentum fasste bereits im 1. Jahrhundert Fuß in Mesopotamien (Zweistromland – Irak und Teile von Syrien und der Türkei). Da sich diese Kirche im Osten und außerhalb des Römischen Reiches (wo das Christentum Staatsreligion wurde) ausdehnte, nannte man sie in der Antike „Kirche des Ostens“. Bereits im 7. Jh. erreichte sie entlang der Seidenstraße den chinesischen Kaiserhof der Tang-Dynastie. Ihren Höhepunkt erlebte dieses ostsyrisch-aramäische Christentum zur Zeit der Khalifen von Bagdad (8. bis 12. Jh.) und der Mongolen 13./14. Jh.). Im Mittelalter hatte sie die größte Ausdehnung aller christlichen Kirchen. Vor allem im 20. Jahrhundert wurde die „Kirche des Ostens“ durch die beiden Weltkriege, durch Vertreibungen (Armenier) und den Nahostkonflikt zur Minderheit. Heute ist sie getrennt in die Chaldäische Kirche, die mit der römisch-katholischen Kirche in Gemeinschaft steht, und in die Assyrische Kirche des Ostens. Von den maximal 500.000 im Irak verbliebenen Christen (2,5% der Gesamtbevölkerung) sind 65 Prozent Chaldäer, 14 Prozent Assyrer. Syrische Katholiken und Syrisch-Orthodoxe machen jeweils etwa sechs Prozent der Christen im Irak aus. Vier Prozent sind christliche Armenier.
Zu Beginn der Jahrestagung gab es Anlass zur Freude. IOC-Gründer Hans Hollerweger gab bekannt, dass Papst Benedikt den Salzburger Kirchenhistoriker Dietmar Winkler als Experten der Nahostsynode berufen hat. Winkler arbeitet im Päpstlichen Einheitsrat, bei Pro Oriente und bei der ICO mit. Seine Berufung zeugt von der internationalen Anerkennung, die Winkler als Wissenschafter und als Praktiker des Dialogs mit den orientalischen Kirchen genießt.