Er erschleicht sich mit Hilfe seiner Mutter den Segen für den Erstgeborenen und bringt durch seine parteiische Liebe seinen Sohn Josef in arge Bedrängnis. Doch Jakob vermag aus seinen schmerzlichen Fehltritten und Erfahrungen zu lernen. Und er öffnet sich der Begegnung mit Gott.
Die biblische Gestalt des Patriarchen Jakob ist unter vielen Gesichtspunkten einmalig. Er ist im Alten Testament der Einzige, der diesen Namen trägt. In einer einschneidenden Begegnung in der Nacht erhält er den Namen „Israel“, der Bezeichnung für die ganze Gemeinschaft wird. Keine andere Person der Bibel wird in ihrem Lebensbogen und – vor allem – ihrer inneren Entwicklung so komplett gezeichnet wie er, von der Geburt bis zum Begräbnis (Genesis 25 – 50).
Beispielhaft. Diese Besonderheiten dürften u. a. damit zusammenhängen, dass ihm modellhafte Bedeutung zukommt. Er ist Vorbild für die Gemeinschaft, die seinen Namen trägt. An ihm wird beispielhaft ein Weg sichtbar, der die Verwandlung eines auf den eigenen Vorteil bedachten Menschen zu einer reifen, ausgleichenden Persönlichkeit schildert.
Hinkend zur Versöhnung. Am Anfang nützt Jakob die Notlage seines Zwillingsbruders Esau aus (25, 29–34). Dann erschleicht er sich mit Hilfe einer Verkleidung und seiner Mutter Rebekka den Erstgeburtssegen vom blinden Vater (Gen 27). An den Folgen (Flucht, langer Aufenthalt in der Fremde, Gen 28 – 32) ist abzulesen, wie solches Verhalten zu beurteilen ist. Entscheidenden Anteil zur Befreiung von Jakobs Dominanz (in der Familie) und Willkür hat Gott, der ihm schon beim Auszug von zu Hause erschienen war und Beistand auf dem Weg ins Unbekannte und in die Unsicherheit zugesagt hatte (Gen 28, 10–22). Er gibt Jakob das Signal zum Aufbruch. Bei der Rückkehr in die Heimat erleidet Jakob im Ringen mit einem Unbekannten (Engel) eine Verletzung an der Hüfte (32, 23–33), wird aber fähig, unmittelbar darauf neu Esau entgegenzugehen und damit den alten offenen Konflikt zu lösen (33, 1-16).
Das Leiden wiederholt sich. Als ob dieses erste Leiden, das nun schon über 20 Jahre zurücklag, nicht genug wäre, wiederholt es sich ab Genesis 37 mit vertauschten Rollen. Erneut kommt Jakob eine Schlüsselrolle zu, weil er durch seine bevorzugende, parteiische Liebe zu seinem Sohn Josef (37, 3) ein zerstörerisches Fehlverhalten fortsetzt, das er früher schon an sich selber erleben musste. Damit erweckt er die Eifersucht der anderen Söhne und schadet Josef. Heute in der Psychologie erkannte Zusammenhänge zeigen sich so bereits in dieser alten Erzählung.
Erstaunliche Veränderung. Dies ist der Boden für eine erstaunliche Veränderung mit Jakob. Diese zeigt sich gut im Vergleich: Abraham hatte die ägyptische Magd Hagar samt ihrem gemeinsamen Sohn Ismael davongeschickt (Gen 21, 8–21). Jakob dagegen nimmt die beiden Söhne Josefs, die ihm die Ägypterin Asenat geboren hat (41, 50–52, Manasse und Efraim), als seine Kinder an, noch dazu an Stelle des Erst- und Zweitgeborenen (48, 5). Hatte sein Vater Isaak ursprünglich nur Esau segnen wollen, so schenkt Jakob ganz bewusst seinen Segen allen Nachkommen – ohne Ausnahme (Gen 49).
Die Richtung gezeigt. Wie konnte Gott dieses Kunststück gelingen, aus dem Betrüger Jakob eine so einfühlende, Versöhnung vermittelnde Person zu machen? Die Erzählungen über Jakob/Israel schildern dies als einen Prozess auf zwei Ebenen. Einerseits sind es menschliche Erfahrungen, vor allem Leiden, an denen Jakob die Folgen seines eigenen Verhaltens aufgehen. Anderseits sind es, wiederholt an Schlüsselstellen der Geschichte (Gen 28; 32; 35; 46), Begegnungen mit Gott, die Jakob die Richtung zeigen, ihm Mut machen und ihn verändern.
Buchtipp. Mehr zum Nachlesen und für Bibelrunden findet sich in: Georg Fischer SJ, Der Jakobsweg der Bibel. Gott suchen und finden. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2010. 䀀