Kirche und Sexualität – ein nicht immer ganz einfaches Verhältnis
Ausgabe: 2010/46, Zu Gast, Liebe, Bestellschein, Kirche, Sexualität, Weidinger
18.11.2010
- Interview: Matthäus Fellinger
Die Kirche soll ihre Haltung zu Sexualität überdenken, wurde zuletzt immer wieder gefordert. Die diözesane Frauenkommission hat dazu am Montag, 15. November, DSA Bettina Weidinger nach Linz eingeladen. Die KirchenZeitung sprach mit ihr.
Was haben Sexualität und Glaube miteinander zu tun?
Bettina Weidinger: Es geht in beidem zunächst um Selbstannahme. Wenn jemand sich schon selber nicht mag, geht das auch mit dem Partner schief. Es geht um einen Beziehungsaufbau – und dieser funktioniert nur über die Stabilität der eigenen Person. Ich kann mich besser dem anderen zuwenden, wenn ich mich selber mag. Es geht dabei um offene Zuwendung, nicht nur um Verlangen – dass ich etwas dafür bekommen müsste. Gebete sind ja auch keine Bestellscheine. Manchmal ist es Zuwendung, ohne den Wunsch, dass ich dafür etwas bekommen muss. Zuwendung ist kein Deal.
Im Zuge von Missbrauchsfällen in der Kirche fordern viele ein Überdenken der kirchlichen Sexualmoral. In welche Richtung?
Es gibt einen Grundirrtum, dass nämlich Sexualität als etwas Negatives gedacht wird – und nur unter bestimmten Voraussetzungen sei sie positiv. Alle Menschen sind von Geburt an sexuelle Wesen mit einem Geschlechts-organ. Wenn ich etwas negativ sehe, kann ich nicht positiv damit umgehen. Missbrauch hat immer etwas von Zwang an sich. Wenn eine Struktur da ist, in der Sexualität unterdrückt wird, fördert das Missbrauch. Wo Sexualität verteufelt wird, kann es sein, dass sie sich negative Schlupfwinkel sucht. Menschen, die ihren Körper sehr gern haben, die sich selber mögen, werden normalerweise nicht zu Tätern.Es geht auch um Genießen-Können. Genießen wurde oft als Wolllust abgetan. Es ist aber eine positive Kraft. Es ist wie beim Essen. Menschen, die das Essen genießen, kriegen keine Essstörungen. Die nicht genießen können, schlingen oder bekommen Störungen.
Sie arbeiten viel mit Jugendlichen. Manche werfen diesen leichtfertigen Umgang mit Sexualität vor. Sie auch?
Überhaupt nicht. Zu allen Zeiten hat man der Jugend das vorgeworfen. Wenn mich meine Großmutter im Minirock gesehen hat, war ich für sie ein leichtes Mädchen. Die Sehnsucht der Jugendlichen ist sehr rein. Jugendliche wollen erwachsen sein. Sie schauen: Wie muss ich mich verhalten, um als erwachsen zu gelten? Was wir Erwachsene ihnen vorgeben, ist, dass man sich sexy stylt und so weiter. Auf die Sehnsucht nach tieferen Informationen über Sexualität gehen Erwachsene kaum ein. Wenn Menschen in einer katholischen Familie aufwachsen, die die Regeln über alles stellt, werden sie über die Jugendzeit hinaus so sein, wie die Erwachsenen sie haben wollen: Nie provokant, brav, sie ziehen sich nicht schick an, sie ignorieren auch jegliche Neugier am Thema Sex, weil das unanständig ist. – Und wenn sie dann 30 sind, habe ich sie in der Praxis. Es sind Menschen, die keinen positiven Bezug zu sich aufbauen konnten. Die Neugierde der Jugendlichen ist etwas ganz Wichtiges. Man muss Jugendliche rechtzeitig fördern im positiven Wahrnehmen des ganzen Körpers, und dass sie wirklich erfahren, was sie interessiert. Sie wollen über die tiefsten Gefühle Bescheid wissen – aber darüber spricht niemand.
Gibt es für Sie beim Thema Sexualität überhaupt einen Fortschritt?
Kaum. Diejenigen, die sich selbst liberal nennen, sind da genauso wie die, die sich moralisch nennen. Beide wollen nicht darüber reden, worum es geht. Die einen reden über Techniken, die anderen weichen zu Vermeidungsthemen wie verantwortungsvolle Beziehung aus. Aber über Sexualität und die Sehnsüchte der Jugendlichen reden sie nicht.
Was erwarten Sie sich von der Kirche?
Es geht um die Haltung. Die müsste grundsätzlich körperfreundlich werden. Die Kirche müsste bereit sein, Erkenntnisse auf dem Gebiet der Sexualität anzunehmen. Eine Moral, die den Zeigefinger in die Höhe hebt und sagt, was du darfst und was nicht, die nur verlangt, dass man sich an die Regeln hält, bringt keine eigenverantwortlichen Menschen hervor. In katholischen Beratungsstellen arbeiten die Leute oft ganz toll. Man muss sie das auch lassen.
Zur Person
Bettina Weidinger leitet mit Mag. Wolfgang Kostenwein das Österreichische Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien in Wien. Die Diplomsozialarbeiterin stammt aus dem Innviertel. Sie arbeitet vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen, Menschen mit Behinderung oder Lernschwierigkeiten. Am Montag, 15. November sprachen sie und Moraltheologe Dr. Michael Rosenberger in der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz zum Thema „Sexualität – Gottesgabe oder ...?“.