Immer wieder hören wir im Advent den Ruf: Wachet auf. Einfach nur Auf-Sein ist aber nicht dasselbe wie Wach-Sein.
Ich verbrachte das Obergymnasium in einem Internat. Wir schliefen zu dreizehnt in einem Saal. Neben mir hatte ein Zillertaler sein Bett. Manchmal stand er nachts auf und geisterte als Schlafwandler durch den Raum, tat dies und jenes und legte sich dann wieder hin. Am Morgen wusste er von all dem nichts mehr. Er war auf, aber nicht wach.
Was wir tun. Geht es uns nicht ähnlich, wenn wir automatisch so vieles im Alltag verrichten: frühstücken, Zeitung lesen, Auto fahren, Arbeiten erledigen, bügeln, fernsehen … Natürlich ist uns bewusst, was wir tun. Aber sehr oft geschieht es doch „wie von selbst“. Und wir machen uns nicht allzu viel Gedanken darüber: Warum tue ich das? Für wen? Welchen Sinn sehe ich dahinter?
Wirklich wach. Ich besuche einen etwa50-jährigen Mann auf der Intensivstation. Er liegt im künstlichen Tiefschlaf. Die Ärzte sagen, dass er in den nächsten Stunden sterben wird. Seine Gattin ist tief verzweifelt. Mit größter innerer Wachheit hatte sie die letzten Wochen darum gekämpft und gebetet, dass er wieder gesund wird. Doch jetzt hört sie auf, nach dem Warum zu fragen, und sie sagt: „Ich lasse dich gehen. Ich will nicht, dass du länger leidest!“Ich versuchte zu beten: „Gott, komm ihm entgegen. Lass ihn spüren, dass du da bist. Umhülle ihn mit deiner ganzen Liebe. Wo unsere Hände nicht mehr hinreichen, da trag du ihn. Führe ihn hinein in das Leben der Fülle, in dein Licht und in deinen Frieden …“
Wo du bist. In solchen Situationen sind wir sicher mit ganzem Herzen präsent, wirklich wach. Natürlich stimme ich Gertrud von le Fort zu: „Die Grenze des Menschen ist das Einbruchstor Gottes.“ Aber hat Gott nicht auch andere „Hintertürchen“, durch die er in unser Leben hereinkommt? Nein, er ist ja immer schon da. Sein Name lautet: „Ich bin dort, wo du bist!“ (Martin Buber) Könnte nicht der Advent eine Zeit sein, in der wir wacher als sonst Türen öffnen für die verborgene Anwesenheit Gottes, eine Zeit, in der wir ihn entdecken als Gott-mit-uns?
Anstöße. „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ beginnt ein Adventlied. „Bedenkt die gegenwärtige Zeit. Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf“, mahnt der hl. Apostel Paulus. (Röm 13, 11) Wahrscheinlich brauchen wir Menschen immer wieder solche Anstöße, Erlebnisse oder Zeiten, die uns aufwecken, damit wir bewusst wieder uns selbst spüren, die Sehnsüchte unseres Herzens aufsteigen und die guten Erinnerungen lebendig werden lassen. Damit wir auch die Signale, die Anrufe Gottes in unserem Leben hören, sehen und verstehen. Oder zumindest danach Ausschau halten.
Wie das geschehen kann? Ich kann und will keine Rezepte verteilen, sondern traue Ihnen zu, dass Sie selbst nicht bloß auf, sondern wach sind.
Immerhin
Laut Umfrage erleben 45 Prozent der Österreicher/innen die Vorweihnachtszeit als freudig und betriebsam; 47 Prozent auch als romantisch und besinnlich. Für 31 Prozent ist der Advent laut, hektisch, stressig und aufreibend.
Ein Leserbrief in einer Tageszeitung berührte mich. Die Kernaussage lautete: „Ich bin ein Moslem und liebe Weihnachten. Es ist eine schöne Zeit, in der die Leute netter, freundlicher, toleranter und verständnisvoller sind als sonst …Trotz Stress denken doch viele an die Asylanten, Arbeitslosen, Obdachlosen, Armen ... Meinetwegen könnte das ganze Jahr Weihnachten sein.“Das bedeutet, dass es wahrscheinlich mehr Menschen gibt, als wir denken, die nicht bloß auf, sondern auch wach sind.