Gutes Image entscheidet über Sein oder Nicht-Sein. Donald Trump ist ein Beispiel dafür. Fakten werden zurechtgebogen, die eigene Weltsicht gilt als Maßstab. Die Frage nach der Wahrheit drängt sich auf. Ein Gespräch mit Prof. Franz Gruber, Rektor der Katholischen Privatuniversität (KU) Linz.
Ausgabe: 2017/05
31.01.2017 - Elisabeth Leitner
Nach seiner Ernennung hat Donald Trump „Alternative Fakten“ präsentiert und die Presse der Lüge bezichtigt. Wie schätzen Sie das ein?
Prof. Franz Gruber: Fakten sind immer interpretierte Fakten. Wir müssen Fakten deuten. Es gibt nicht das nackte Faktum, das absolut objektiv feststellbar ist. Die Frage ist: Wer gibt den Maßstab für die Deutung vor? Was bei Trumps Angelobung passiert ist, also die Frage, wie viele Zuschauer/innen tatsächlich vor Ort dabei waren, lässt sich relativ leicht nachzählen. Hier geht es aber um etwas anderes: Hier will ein Präsident einen Amtsantritt inszenieren, der ein Superlativ ist. Dahinter steht ein Interesse an Selbstdarstellung, er will sagen: „Ich bin der Beste! Ich bin der Zukunftsträger Amerikas!“ Wenn sich dann herausstellen sollte, es waren viel weniger als bei der Angelobung Barack Obamas, würde das diesem Interesse widersprechen.
Das eigene Interesse bestimmt die Sicht der Welt. Bleibt da nicht die Wahrheit auf der Strecke? Gruber: Trump anerkennt nicht die Tatsache, dass bei seiner Angelobung weniger Menschen waren als bei jener Obamas. Er schiebt den scheinheiligen Begriff „Alternative Fakten“ vor, um dem Vorwurf, er sei ein Lügner, zu entgehen. Es geht ihm überhaupt nicht um Wahrheit, sondern um ein Spiel der Inszenierung und dem, was ihr dient. Die Wirklichkeit muss deshalb zurechtgebogen werden.
Das Bemühen, in der Öffentlichkeit gut dazustehen, ist bei Einzelpersonen und Institutionen gleichermaßen anzutreffen. Warum fällt es bei Donald Trump so sehr auf? Gruber: Bei Donald Trump passiert das direkt und unverfroren. Es wäre genauso naiv zu glauben, dass wir und politische Akteure, Firmen, Institutionen – auch die Kirche – kein Interesse hätten, gut in der Öffentlichkeit dazustehen. Wir tun alles – und mithilfe der medialen Selbstinszenierung noch mehr – , dass wir ein gutes Image haben. Wir sind nicht an der Wahrheit interessiert, sondern am Image. Weil das Image das Öffentlichkeitsbild darstellt. Ein gutes oder ein schlechtes Image entscheidet heutzutage über Sein oder Nicht-Sein. Und daher gibt es alle möglichen Manipulationen von Fakten. Und darum schielen wir ständig auf Umfragen, wie gut wir in der Gesellschaft dastehen.
Medien werden als die vierte Macht im Staat bezeichnet. In einer Demokratie haben sie die Funktion der Aufklärung. Wie passt hier der Vorwurf der „Lügenpresse“ ins Bild? Gruber: In unseren Demokratien und in unserer liberalen Öffentlichkeit haben Medien eine ganz wichtige Funktion: die der Information der Öffentlichkeit und des Diskurses, der Auseinandersetzung, der Debatte. Die Öffentlichkeit ist der Ort, wo dieser Diskurs stattfindet. Deshalb haben Medien den Selbstanspruch, das Manipulatorische von Macht aufzudecken. Darum verstehen sich Medien als die vierte Macht, die der Kontrolle und dem Erhalt der Demokratie sowie der Freiheit dient. Die sogenannten „illiberalen“ Demokratien – von der Neuen Rechten propagiert – tun alles, um Medien zu diffamieren. Da die Medien für eine Idee von Öffentlichkeit stehen, in der die Meinungsfreiheit ein hoher Wert ist, sind sie darauf angewiesen, dass sie ihre Sicht der Dinge plausibel machen. Eine Strategie ist es daher, die Medien selbst zu diffamieren. Bei Trump sieht man das wunderbar, wenn er sagt, er stehe im Krieg mit den Medien. Barack Obama hat hingegen die Medienvertreter aufgerufen, kritisch zu fragen und der Macht auf die Finger zu schauen.
Was hilft der Gesellschaft, den Medien, den Menschen bei der Wahrheitsfindung?Gruber: Macht läuft immer Gefahr, intransparent, undemokratisch und gewaltbereit zu werden. Eines der ersten Zeichen für repressive Systeme und Diktaturen ist die Beschränkung der Medien. Darum sterben heute so viele Medienvertreter, weil sie für die Machthabenden ein Dorn im Auge sind. Das betrifft aber ebenso die Großmächte: Auch Amerika hat zensuriert, als es Krieg führte, zum Beispiel im Vietnam- und Irakkrieg. Deshalb haben Medien eine unverzichtbare Funktion der Aufklärung, allerdings können auch sie manipulieren. Daher brauchen Medien selbst einen inneren Pluralismus und ein Ethos der Wahrheitsverpflichtung. – Und das zeigt, dass wir alle in Bezug auf Wahrheit auf den Dialog und auf die andere Sichtweisen angewiesen sind. Wir haben nicht die absolute Wahrheit, wir müssen die Wahrheit suchen, je neu. Auch wenn wir moralisch handeln, brauchen wir einen Maßstab dafür. Woran orientiere ich mich, welche Normen sollen gelten? Gotthold Ephraim Lessing verlegt in der Ringparabel den Streit um die Wahrheit auf die Lebenspraxis. Die Praxis der Gottes- und Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit ist das Kriterium für Wahrheit. Ich denke, das ist bis heute gültig.