Vom Straßenkind zum Sozialarbeiter. Santosh Kumar Padibandla hat es geschafft. Wie sein früheres Leben auf der Straße war und was ihn gerettet hat, erzählte er der KirchenZeitung.
Ausgabe: 2017/05, Indien, Straßenkinder, Gewalt, Drogen, Sozialarbeit, Don Bosco
31.01.2017 - Interview: Paul Stütz
Mit knapp zehn Jahren sind Sie von zu Hause ausgerissen und auf der Straße gelandet. Was war der Grund? Santosh Kumar Padibandla: Ich hatte Angst vor meinem Vater. Er war sehr streng zu mir und hat mich am Ende des Tages oft geprügelt. Meine Mutter war liebevoll und hat versucht mich so viel wie möglich zu unterstützen. Das war aber schwierig, weil sie ihrem Mann um jeden Preis folgen und gehorsam sein musste. Ich war praktisch gewöhnt an die Gewalt. Als ich aber eines Tages mit einem Cricketball eine Autoscheibe zerschoss, fürchtete ich, dass er mich töten wird. Deswegen bin ich mit Freunden in einen Zug gestiegen und weg von daheim.
Wie war das Leben auf der Straße am Anfang? Padibandla: Am Anfang war es sogar ein gutes Gefühl, du bist auf der Straße frei, keine Person, die dich kontrolliert. Leicht ist es natürlich dennoch nicht. Der tägliche Überlebenskampf ist Alltagsroutine auf den Straßen. Oft war ich tagelang hungrig. Alles drehte sich darum, Essen und einen Platz zu finden, wo man den Rest des Tages verbringen konnte. Wir waren außerdem besonderen Gefahren ausgesetzt.
Welche waren das? Padibandla: In Indien werden viele Straßenkinder von illegalen Organhändlern gekidnappt. Wir mussten sehr aufpassen. Wenn Fremde in die Straßen kamen, haben wir uns gegenseitig gewarnt und sind weggerannt. Die Polizei hat uns das Leben auch schwergemacht. Sie hat uns aus den Bahnhöfen rausgeschmissen, hat uns das ganze Geld, das wir eingenommen haben, wieder weggenommen. Die Polizisten ließen uns putzen oder Leichen wegräumen. Ich verstand schnell, dass auf der Straße nur der Stärkste überlebt.
Sie hatten auf der Straße einen schweren Unfall? Padibandla: Auf fahrende Züge aufspringen war mein Lieblingssport. Die fuhren mit 80 Stundenkilometern durch den Bahnhof. Die Wette war, wenn ich auf den rasenden Zug rauf- und wieder runterspringe, bekomme ich 500 Rupien, das sind ca. 6 Euro. An einem unglücklichen Tag bin ich von dem Zug gefallen. Mein linker Unterarm und das rechte Bein mussten amputiert werden. Die Polizei hat meinen Vater verständigt. Als er vor meinem Bett stand, hat er geleugnet mein Vater zu sein. Dann wusste ich: Jetzt bin ich wirklich ein Straßenkind. Vorher hatte ich noch Hoffnung zurückzugehen. Doch dann habe ich komplett meinen Glauben verloren.
Wie ging es weiter? Padibandla: Ich bin von Stadt zu Stadt gefahren, um Geld zu erbetteln. Als behindertes Kind habe ich mehr Geld bekommen, weil die Menschen jetzt Mitleid mit mir hatten. Ich konnte mir nicht nur Essen, sondern auch Drogen leisten. Ich fühlte mich den ganzen Tag nur noch benebelt.
Mit 13 Jahren brachte eine Begegnung die Rettung? Padibandla: Ich war in der Stadt Vijayawada und wollte mir einen Stock kaufen. Da traf ich einen Sozialarbeiter, der mich ins Don-Bosco-Zentrum Navajeevan eingeladen hat. Es war Weihnachten und die Kinder waren so schön angezogen. Ich sagte zu den Sozialarbeitern: „Ich gehe zur Schule und bleibe im Zentrum, wenn ich auch so ein Gewand bekomme.“ Später studierte ich Informatik und Sozialarbeit. Das Don-Bosco-Zentrum war meine Rettung.
Eine besondere Rolle spielte für Sie Father Koshy, der damals Direktor in dem Zentrum war. Padibandla: Ich schätze, 20.000 Straßenkinder nennen ihn Papa. Er hat eine ruhige Art, er hört jedem der Kinder zu, achtet auf das, was sie brauchen. Oft sagte er zu uns: Du hast dein Leben und kannst das Beste daraus machen. Father Koshy hat die Situation der Straßenkinder von Vijayawada sehr zum Positiven verändert. Er hat die Regierung dazu gebracht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Heute arbeiten Sie selbst in diesem Don-Bosco-Zentrum. Mit welcher Einstellung gehen Sie in Ihre Arbeit mit den Kindern? Padibandla: Ich will den Kindern die Liebe geben, die ich selbst in meiner Familie vermisst habe. Ich sage zu meinen Schützlingen, wenn ich einmal zu laut werde und zu ärgerlich, dann sollen die Kinder laut klatschen. Dann merke ich, dass ich mich wieder beruhigen muss. Natürlich haben sie sich an Regeln zu halten, aber ich versuche, nicht zu streng zu sein.
Oberösterreich-Besuch Der Verein „Jugend eine Welt“ unterstützt das Don-Bosco-Zentrum in Vijayawada. Santosh Padibandla gastierte aus Anlass der Tages der Straßenkinder (31. Jänner) auf Einladung des Vereins in Oberösterreich. www.jugendeinewelt.at