Die Linzer Altestamentlerin Susanne Gillmayr-Bucher über den Propheten Jona, der aus der Bahn geworfen wurde und über den faszinierend-schwierigen Zugang zum Alten Testament.
Ausgabe: 21/2011, Jona, Alttestamentlerin, Gillmayr-Bucher, Kirche
05.08.2011
- Josef Wallner
Sie haben die Jona-Erzählung zum Thema Ihrer Antrittsvorlesung am 19. Mai 2011 gemacht: Was fasziniert Sie an Jona? Gillmayr-Bucher: Jona wird zwar von Gott mit einem Auftrag losgeschickt, aber das Entscheidende ist, dass er eine Erfahrung machen muss, die sein traditionelles Gottesbild auf den Kopf stellt. Jona muss sich von den Gewissheiten verabschieden, die er mit Gott verbunden hatte. Gott handelt plötzlich so anders und wird Jona fremd, er entzieht sich der bisherigen Erfahrung Jonas. Jede Rede von Gott bleibt Bruchstück. Und darin sehe ich auch die Aufgabe von „guter Theologie“: dass sie sich bemüht, aus der Tradition Bilder von Gott zu entwickeln, die offen bleiben für neue Erfahrungen.
Warum nahm die Jona-Erzählung im Neuen Testament und der frühen Kirche einen so hohen Stellenwert ein? Das Buch Jona wurde in den ersten Jahrhunderten in der jüdischen und christlichen Tradition lebhaft diskutiert. Die alte Kirche hob die Parallelen zwischen Jesus und Jona hervor, um so die Bedeutung Jesu zu beschreiben. Wie Jona war Jesus ein Gottesgesandter, ein Bußprediger, seine Botschaft überschritt die Grenzen des eigenen Volkes und richtete sich an die Heiden. Und natürlich die Rettung Jonas nach drei Tagen aus dem Bauch des Fisches. Dieser Abschnitt des Jonabuches wurde mit der Auferstehung Jesu in Verbindung gesetzt.
Wenn sich jemand für das AT interessiert – wo soll er zu lesen anfangen? Unbedingt bei der Tora, den fünf Büchern des Mose. Denn sie bilden die Basis. Dort sind das Gottesbild und die Beziehung Gottes zu seinem Volk grundgelegt. Dann ist es egal, wo man weiterliest – bei den Propheten, in den Geschichtsbüchern, Psalmen oder in den Weisheitsschriften. Diese übrigen Bücher erschließen sich von der Tora her.
Und wenn er oder sie die Bibel zuklappt, weil sie über weite Strecken nur „Bahnhof“ verstehen – man braucht nur an die Gesetzestexte des Buchs Levitikus zu denken ... Allein ist es schwierig, einen Zugang zur Bibel zu finden. Man sollte in Gemeinschaft, in einer Gruppe zu lesen beginnen. Das Bibelwerk Linz bietet solche begleitete Einstiege. Die Bibel ist in einer gänzlich anderen Kultur entstanden. Nur weil die Bibeltexte übersetzt sind, sind sie uns nicht weniger fremd. Sie bleiben zwei- bis dreitausend Jahre alte Schriften. Aber die Auseinandersetzung mit diesen Texten lohnt sich. Sie helfen unser Leben im Licht des Glaubens zu erschließen.
Sie sind Theologin und Germanistin, ihre Habilitationsschrift haben Sie über die Bibel und Thomas Bernhard verfasst. Bibel und Literatur gehören für Sie zusammen. Ich bin von Texten fasziniert, die Sinn für unser Leben stiften. Besonders spannend finde ich Literatur, die Texte der Bibel aufgreift und in die Gegenwart hineintransportiert. Ich denke an Thomas Mann, Margaret Atwood, Nelly Sachs und Patrick Roth.