Zum Abschluss der sechsteiligen Serie über das Leben und Werk der heiligen Hildegard von Bingen machte sich die "Kirchenzeitung" auf Erkundungstour in ihrer Heimat
„Da hinten steht Hildegard!“ – Kurt Brühl deutet auf den Müsli-Tisch des Frühstücksbuffets. „Jeden Tag fünf Mandeln hat die Hildegard gesagt, das hält den Geist fit“. Der fröhliche Hotelchef weiß abends, wie er seine Hotelgäste mit guter Laune unterhält. „Die meisten Leute wissen ja gar nicht, dass die Hildegard nicht in Bingen liegt, sondern hier bei uns in Rüdesheim.“ Mit „bei uns“ meint er die Pfarrkiche im Rüdesheimer Stadtteil Eibingen. Dort steht der Schrein der bekanntesten mittelalterlichen Heiligen. Nur ein paar hundert Meter weiter hinauf durch die Weinberge leben 51 Benediktinerinnen im Kloster St. Hildegard.
Rheinromantik. Weil die einzelnen Gedächtnisstätten der weltberühmten Heiligen relativ zerstreut sind, ist die Orientierung für den Hildegard-Pilger nicht ganz einfach. Dazu kommt, dass die überwiegende Mehrzahl der Touristen ohnehin nicht wegen Hildegard hierher kommt, sondern der Rheinromantik wegen. Zweieinhalb Millionen sind es jährlich, die im Rahmen einer Schifffahrt in Rüdesheim anlegen und in der weltbekannten „Drosselgasse“ einkehren. Hildegard-Menüs stehen hier zwar auf der Speisekarte, aber die meisten Gäste kommen lieber zum Schlemmen, Wein trinken und Tanzen, weiß Susanne Breuer, Chefin des Weinhotels „Rüdesheimer Schloss“. Mit einem „H“ hat sie jene Speisen auf der Karte gekennzeichnet, die Hildegards Lehre entsprechen. Köstlich sind sie jedenfalls alle, ob mit oder ohne „H“. Jede Servicekraft im Hotel muss die wichtigsten Eckpunkte von Hildegards Ernährungslehre kennen. Allein das Interesse der Restaurantgäste ist noch relativ gering. Ihr Verlangen gilt eher den köstlichen Tröpferln im Weinglas als Hildegards Lehren.
Viel Unerforschtes. Wissen der Besucher, die sich auf Hildegards Spuren an den Rhein begeben, bestätigt Matthias Schmandt. Er leitet das historische „Museum am Strom“ in Bingen. Wenn die Gäste mit dem „Hildegard-Ticket“ aus Rüdesheim kommend den Rhein überqueren, legen sie direkt hier bei ihm am neu gestalteten Museum an. „Wir versuchen, den Leuten Raum und Zeit zu vermitteln, in der Hildegard lebte.“ Über 900 Jahre hinweg habe sich viel in Hildegards Geschichte hineingeschlichen, sei viel hineininterpretiert worden. „Wirklich wissenschaftlich verifiziert ist weniges, das bietet viel Fläche für Phantasie und Schneegestöber“, ist der Museumsdirektor überzeugt. Es sei jedenfalls noch viel Forschungsarbeit notwendig, um das Wissen über Hildegard zu vervollständigen. „Man muss um jedes Detail ringen“. Die unzähligen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen, die oft Halbwahrheiten als ganze verkaufen, sind ihm ein Dorn im Auge: „Wenn Leute ihr totalitäres Weltbild in ein Buch verpacken, mit dem Hildegard-Stempel versehen und es „So heilt Gott“ nennen, wird‘s problematisch.“
Hildegard und der Wein. Obwohl die Hildegard-Pilger nach wie vor eine kleine Minderheit unter den Touristen in dieser Gegend sind, steigt das Interesse an der – übrigens nie offiziell heilig gesprochenen – Nonne. Und letztendlich müssen die Auseinandersetzung mit der großen Frau des Mittelalters und genussvolle Rheinromantik ja nicht unbedingt ein Widerspruch sein. Denn dem Wein als „Blut der Erde“, war offenbar auch Hildegard nicht abgeneigt. In einer ihrer Schriften rühmt sie seine reinigende Wirkung auf Blut, Säfte und Gefäße des Menschen: „Der Wein – maßvoll genossen – heilt und erfreut den Menschen zutiefst durch seine große Kraft und Wärme...“
- Museum am Strom – Bingen. Die große Hildegard-Ausstellung des Museums zeichnet ein anschauliches Bild der großen Äbtissin: die historischen Klöster nehmen hier in Modellen wieder Gestalt an. Kunstwerke und wertvolle Originale wie etwa der Erstdruck der „Physica“ von 1533 machen Lebensweg und Wirken anschaulich. Der angeschlossene „Hildegarten“ zeigt zahlreiche Pflanzen, die Hildegard beschrieben hat.
- Pfarrkirche St. Hildegard. Auf den Fundamenten des ehemaligen 1165 von Hildegard gegründeten Klosters befindet sich heute die Pfarr- und Wallfahrtskirche mit dem Hildegardis-Schrein.
www.land-der-hildegard.de