Das Grundstück der palästinensischen Familie Nassar ist umringt von israelischen Siedlungen. Seit 21 Jahren liegen sie im Rechtsstreit mit dem israelischen Staat, der versucht, sie zu enteignen und ihnen ihr Land wegzunehmen. Die Familie leistet gewaltlosen Widerstand nach dem Motto ,Wir weigern uns, Feinde zu sein‘.
„Kultivierungs-Stopp“ steht in hebräischer Sprache auf zwei Zetteln, die Daoud Nassar in Abständen von ein paar Tagen im Februar zufällig auf seinem Land gefunden hat. Persönlich ausgehändigt wurden sie ihm nicht. Bestimmte Flächen auf seinem Grundstück dürfen nicht kultiviert werden, heißt es weiter im Text, weil es sich um israelisches Staatsgebiet handelt. 45 Tage hat Daoud Nassar nun Zeit, diesen Bescheid anzufechten. Sein Rechtsanwalt ist bereits damit beauftragt. Wieder einmal versucht der Staat Israel der palästinensischen Familie Nassar Schwierigkeiten zu machen – mit dem Ziel, dass sie ihr Land verlassen.
Familienbesitz. Auf einem Hügel neun Kilometer südwestlich von Bethlehem liegt der 42 Hektar große Weinberg der Familie Nassar. Hier wachsen knorrige Rebstöcke auf kargem Boden, schlagen Olivenbäume Wurzeln und strecken Mandel- und Feigenbäume ihre winterlich blattlosen Äste in den Himmel. „Seit 1916 ist dieses Land im Besitz unserer Familie. Mein Großvater hat es damals gekauft und hier lebe ich mit meiner Familie“, sagt Daoud. Der Weinberg befindet sich im Westjordanland, das neben dem Gazastreifen, Ostjerusalem und den Golanhöhen zu den seit 1967 von Israel besetzten Palästinensischen Autonomiegebieten zählt. Nach und nach wurden hier israelische Siedlungen gebaut – laut internationalem Recht gelten sie als illegal. Im Konflikt zwischen Israel und Palästina ist der Siedlungsbau einer der strittigsten Punkte bei den Verhandlungen um Frieden. Auch der Hügel von Daouds palästinensischer Familie ist von israelischen Siedlungen umgeben.
Nicht aufgeben. Schikaniert, gedemütigt und bedrängt werden, das eigene Stück Land zu verlassen– wie das ist, weiß Daoud nur zu gut. „Seit 21 Jahren sind wir dabei, unseren Weinberg vor Enteignung zu verteidigen“, sagt der palästinensische Christ. 1991, als die israelische Regierung dieses Gebiet einschließlich seiner Farm zu israelischem Staatsgebiet erklären wollte, fingen die Probleme an. Dokumente belegen nachweislich die Besitzrechte der Familie Nassar. Und so sind sie seither immer wieder vor Gericht. „Parallel zum Gerichtsprozess haben uns in den ersten Jahren auch israelische Siedler angegriffen, haben unsere Bäume umgeschnitten. Jetzt wird versucht, uns zu isolieren. Der Zufahrtsweg zu unserem Gelände ist durch einen roadblock – das sind große Gesteinsblöcke – gesperrt; wir dürfen auf unserem eigenen Land kein Leitungswasser und keinen Strom haben und es gibt keine Baubewilligung. Immer wieder gab es Abrissbefehle zum Beispiel für Zelte oder für die Hütten für unsere Ziegen, Hasen und Hühner; wir bauen auch verschiedene Sorten von Gemüse an und laut jüngstem „Kultivierungs-Stopp“ dürfen einige Felder nun nicht mehr bepflanzt werden. Wir haben mit vielen Beschränkungen zu kämpfen, aber wir sind immer noch da und geben nicht auf“, so Daoud optimistisch.
,tent of nations‘. Gewalt, Resignation oder Auswanderung als Reaktion auf diese schwierige Lage kommen für Daoud und seine Familie nicht in Frage. Ausgestattet mit einem enormen Durchhaltevermögen und den Glauben an Gerechtigkeit wählte er einen anderen Weg. „Wir haben uns entschlossen, gewaltlosen Widerstand zu leisten nach dem Motto ,Wir weigern uns, Feinde zu sein‘. In diesem Sinne haben wir vor zehn Jahren das Friedensprojekt ,tent of nations‘ gegründet, damit aus dieser schwierigen Geschichte etwas Gutes entsteht.“ So wurde das Land und die Farm als Begegnungsstätte geöffnet für Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Religionen. Organisiert werden Sommercamps für Kinder aus Bethlehem und den benachbarten Dörfern mit kreativen Workshops wie Malen; es gibt Baumpflanz-aktionen und Camps zur Oliven-, Mandel- oder Traubenernte; im nächstgelegenen palästinensischen Dorf Nahalin werden Weiterbildungsseminare für Frauen angeboten, in denen Daouds Frau Jihan beispielsweise Computer- und Englischkurse hält. „Der Weg des Friedens gelingt nur durch einen Brückenbau zwischen Menschen, durch gegenseitige Verständigung und durch Versöhnung“, sagt der 41-jährige Palästinenser.
Es gibt immer einen Weg. Zunächst schien dieses Vorhaben einer Begegnungsstätte unmöglich – ohne Wasser, ohne Strom, ohne Baubewilligung. „Wir – mein Bruder Daher, meine Frau, die ganze Familie – haben begonnen, Regenwasser in Zisternen zu sammeln; für den Strom wurde uns eine Solaranlage gesponsert; wir haben die Höhlen, in denen damals die Familie lebte, ausgebaut und Zelte aufgebaut als Unterkünfte für unsere Gäste und für Volontär/innen, die aus aller Welt zu uns kommen, hier einen Freiwilligeneinsatz leisten und uns bei unserer Arbeit unterstützen“, so Daoud. Er ist überzeugt, „es gibt immer einen Weg für eine bessere Zukunft.“
Baumpflanzaktion. „Friede wächst von unten – so wie ein Olivenbaum, der mit seinen Wurzeln fest mit dem Boden verbunden ist. Durch sein stabiles Fundament kann er wachsen, gedeihen und Früchte tragen“, sagt Daoud. Um Basisarbeit für den Frieden zu leisten, finden beispielsweise von Jänner bis März Baumpflanzaktionen auf dem Weinberg der Familie Nassar statt. Gesponsert werden die Bäume von Gemeinden oder Gästen – so wie kürzlich von einer 38-köpfigen Reisegruppe aus Österreich, die eifrig Olivenbäume einsetzte. Martin Zellinger, der als Reiseleiter fungierte, organisiert seit vielen Jahren Fahrten ins Heilige Land. Vor sechzehn Jahren hat er Daoud kennen gelernt. „Mir ist es besonders wichtig, den Reisenden nicht nur die üblichen Sehenswürdigkeiten wie die Grabeskirche in Bethlehem zu zeigen, sondern auch abseits touristischer Pfade Einblicke in den Alltag der Menschen zu vermitteln. Dazu gehört auch das Friedensprojekt ,tent of nations‘“, erzählt der Theologe aus Oberösterreich, der auch dabei ist, den geplanten Österreichaufenthalt Daouds im Herbst zusammenzustellen.
Aufruf zum Gebet. Friedensaktivist/innen und -organisationen – darunter auch das internationale „Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel“ (EAPPI) – schlagen nun Alarm, weil Daoud Nassar erneut von einer Landenteignung bedroht ist. Für Daoud ist wichtig, „dass die Menschen von unserer schwierigen Situation erfahren und dass sie für uns beten, um die Hoffnung auf Frieden am Leben zu erhalten.“
- www.tentofnations.org - www.paxchristi.at - www.versoehnungsbund.at