Es gibt „Schafe“, denen es nicht gut geht, die verletzt sind oder ängstlich, die die heutige Zeit überfordert. Sie sind die wichtigsten. Es kann sein, dass sie nicht unmittelbar zur „Herde“ gehören, dass sie bestimmten Vorstellungen nicht entsprechen, vielleicht sind sie homosexuell, ihre Beziehung ist zerbrochen ... Eine „Mystik der offenen Augen“ (J.B. Metz) will sehen und wahrnehmen, was ist im Leben der Menschen.
Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.
1. Lesung
Apostelgeschichte 4, 8–12
Da sagte Petrus zu ihnen, erfüllt vom Heiligen Geist: Ihr Führer des Volkes und ihr Ältesten! Wenn wir heute wegen einer guten Tat an einem kranken Menschen darüber vernommen werden, durch wen er geheilt worden ist, so sollt ihr alle und das ganze Volk Israel wissen: im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat. Durch ihn steht dieser Mann gesund vor euch. Er ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen.
2. Lesung
1 Johannes 3, 1–2
Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
Wo ist er, der gute Hirt?
Der Sonntag des guten Hirten war mir nicht sehr sympathisch in meiner Kindheit und Jugendzeit. Ich kann mich an so manche pathetische Predigt der Kollegen in meiner Heimatstadt erinnern, die sich durch veraltete priesterzentrierte Theologie zu bestätigen versuchten. Da ich auch andere Priester kannte, vermutete ich, dass es auch anders sein könnte. Außerdem bin ich in einer Stadt aufgewachsen, und ein echtes Schaf oder einen echten Hirten sah ich in meiner Kindheit und Jugend nie. Irgendwann habe ich dann ein Bild vom guten Hirten gesehen, der nicht – mit dem Rücken zu den Schafen – vor der Herde hergeht und die Schafe folgen ihm. Der Hirte stand mitten drinnen in seiner Herde, die Schafe waren um ihn herum. Dieses Bild hat mich angesprochen. Nicht blinde Nachfolge und gesichts- und beziehungslose Führung sind wichtig, sondern die Gemeinschaft der Glaubenden. Durch die Taufe sind wir zu einer „Herde“ geworden, zu einer Gemeinschaft der Gleichen, in der alle Priester/innen, König/innen und Prophet/innen sind und verantwortlich das Leben der Kirche tragen. In dieser Gemeinschaft sind manche zu einem besonderen Dienst berufen; aber es ist ein Dienst an der Gemeinschaft, keine Karriere nach unten, keine nach oben.
Es gibt „Schafe“, denen es nicht gut geht, die verletzt sind oder ängstlich, die die heutige Zeit überfordert. Sie sind die wichtigsten – das meint die „Autorität der Leidenden“ (J.B. Metz). Es kann sein, dass sie nicht unmittelbar zu uns gehören, dass sie unseren Vorstellungen nicht entsprechen, vielleicht sind sie homosexuell, ihre Beziehung ist zerbrochen, oder sie sind in einem anderen Land wegen ihres Glaubens verfolgt. Ist denn Christus für alle gestorben und auferstanden oder doch nur für manche, und für die anderen macht er das irgendwann noch einmal oder auch nicht? Welche Botschaft vermitteln wir als Kirche da heute?
Zum Weiterdenken
Was sind meine starken Seiten? Was kann ich gut, was macht mir Spaß, was mache ich gern, worauf kann ich so richtig stolz sein? Was davon ist mein Beitrag für eine lebendige Kirche?
Gott, der das wortlose Bitten hört, den stummgeschlagnen Mund versteht, der die verborgene Gerechtigkeit sieht, das Gute, das einfach so gelebt wird, einer, der wartet und wartet, mit einer Geduld ohne Grimm, mit Augen, die suchen und von weitem schauen. Diesen Gott hat Jesus uns verkündet und gelebt. Evangelium. aus: Huub Oosterhuis, Ich steh vor dir. Meditationen, Gebete und Lieder.